Abraham Schnitzer (1540–1603/04)

From Theatrum Paracelsicum
Abraham Schnitzer (1540–1603/04) war Alchemist, Bergbaudirektor und Erfinder.
Sammler von paracelsischen Texten
Schnitzer wurde 1540 in Sterzing (Tirol) geboren. Er führte ein unstetes Leben, wechselte häufig den Wohnort und hatte zeit seines Lebens mit hohen Schulden zu ringen. 1566 trat in die Dienste von Graf Ludwig XVI. von Oettingen (1508-1569); in dessen Auftrag reiste er nach Kärnten, um Materialien für alchemistische Versuche einzukaufen. Um 1571 wurde er Teilhaber eines Bergwerkbetriebs im Stanzertal (Tirol), das zuvor zwanzig Jahre von Wilhelm Ygl (gest. 1587/88) betrieben wurde. Ab 1574 war Schnitzer im Bergbau von Fernstein tätig. 1575 wird er erstmals aus Tirol ausgeweisen, erhielt jedoch schon 1576 von Erzherzog Ferdinand von Tirol (1529-1595) ein Privileg auf 20 Jahre für ein Verfahren zur Steinölgewinnung. 1578 musste er dann als Protestant im Zuge der Gegenreformation Tirol endgültig verlassen; anschließend hielt er sich im Allgäu auf. 1582 verfasste Schnitzer im Kloster Kempten ein Gesuch um ein fünfjähriges Moratorium aufgrund von Schulden aus dem Betrieb von Quecksilbergruben in Tirol. Spätestens 1590 lebt er in Haldenwang bei Kempten. 1591 plante er den Druck von Martin Sturtz’ Bergbuch Speculum metallorum in einer von ihm gemeinsam mit seinem Freund Christoph Hofer überarbeiteten (und paracelsierten) Fassung; hierfür ersuchte er um ein kaiserliches Druckprivileg. Im selben Jahr 1591 erhielt er auf drei Jahre die Erlaubnis für den Bau einer Hütte im Zillertal auf eigene Kosten, doch blieb es wohl bei dem Plan. Nach dem Regierungsantritt von Herzog Friedrich I. von Württemberg zog Schnitzer erneut um und wurde 1594 Bergmeister in der neu gegründeten Bergwerksstadt St. Christophstal bei Freudenstadt (Schwarzwald). Von 1594 bis 1597 war er ebenfalls in Diensten von Herzog Friedrich Bergmeister in Klosterreichenbach. Nach Kritik an seinem Vorgesetzten Melchior Hehen wurde Schnitzer 1597 aus dem Dienst entlassen. Neuerliche Schuldklagen führten unmittelbar darauf zur Konfiszierung von Schnitzers Habe und zu seiner Verhaftung; ein Inventar von 1597 (Stuttgart, Staatsarchiv) dokumentiert den Besitz von gedruckten und handschriftlichen Paracelsustexten, darunter Theologica (Auslegung des Matthäus-Evangeliums; De invocatione Mariae virginis) und das Consilium für Adam Reissner. Vermutlich verbrachte er drei oder vier Jahre im Gefängnis. Im Jahr 1602 ist Schnitzer erneut im Quecksilberbergbau im Stanzertal (Tirol) tätig, wofür er ein Privileg von Erzherzog Maximilian III. erhielt, der in diesem Jahr durch Kaiser Rudolf II. zum Gubernator von Tirol ernannt worden war. Er starb um die Jahreswende 1603/1604.
Seit spätestens 1583 war Schnitzer mit ↗ Gabriel Moraweiser bekannt, der mehrfach versprach, ihn von seinen Schulden zu befreien. Er pflegte Kontakte zu ↗ Lorenz Lutz (1590), einem Tiroler Frühparacelsisten; wechselte 1583 Briefe mit Jacob Seidenschwanz, ein Alchemist in Schwaz; war befreundet mit Christoph Hofer in Schwaz, mit dem zusammen er das Speculum metallorum des ↗ Martin Sturtz überarbeitete und von dem er bestimmte Paracelsustexte zu erhalten suchte; hatte Kontakt zu Leonhard Straub, Drucker und Verleger in Konstanz, sowie zu Kilian Blanckenstein (gest. 1594), ein an Alchemie interessierter Domherr in Konstanz. ↗ Adam Haslmayr, der seit 1605 für einige Zeit in der Bergwerksstadt Schwaz lebte, hatte dort Kontakte sowohl zu Schnitzer als auch zu dessen Tochter, ↗ Anna Maria Lackner. ↗ Benedictus Figulus stand zeitweilig in engerer Bekanntschaft mit Schnitzers Witwe und Tochter; ob Figulus auch mit Schnitzer selbst bekannt war, ist unbekannt. ↗ Karl Widemann trug S. um 1620/25 in sein Verzeichnis spagyrischer Mediziner ein: «Abraham Schnitzer. Hat auch waidlich glogen vnd betrogen. Von Augspurg gfangen, nach Stuetgart gfiert worden. Hat ein reiches Ärtz dem Hertzog in Württemberg in ein Fundgrueben gworffen, als wenn es daselbst vnd in sein Landt gebrochen. Aber glogen vnd betrogen» und ergänzte nachträglich: «Obijt».
Julian Paulus
Veröffentlichungen: Schnitzer plante zwar den Druck seiner Fassung des Speculum metallorum, doch gelang die Drucklegung nicht. Handschriftlich erhalten ist ein Traktat Über den Gewinn von Eisen aus Blenden, flüchtigen Erzen und Schwefelkies (1598 oder später; Abschrift von ↗ Raphael Egli aus dem Jahr 1621; Universitätsbibliothek Kassel, 4° Ms. chem. 35/7).
Literatur:
Justinian Ladurner: Anfang des Steinöhl-Brennens in Tirol, in: Archiv für Geschichte und Alterthumskunde Tirols 2 (1865), p. 375-377 (Google Books)
Heinz v. Falser: Abraham Schnitzer und seine ‘Ölkunst’, in: Tiroler Heimatblätter 19, n° 3/4 (1941), p. 41-46 (online, free)
Heinrich Winkelmann: Das Schwazer Bergbuch, in: Der Anschnitt 9, n° 1/2 (1957)
Erich Fussek: Das Bochumer Exemplar des Schwazer Bergbuchs, in: Der Anschnitt 9, n° 1/2 (1957)
Václav Lomič: O Brněnském rukopisu horní knihy Abrahama Schnitzera, in: Český lid 45, n° 1 (1958), p. 28-31 (jstor)
Franz Kirnbauer: Speculum metallorum 1575, Wien: Montan-Verlag 1961
Karl Schadelbauer: Vom württembergischen Bergmeister Abraham Schnitzer, in: Idem, Innsbrucker Archivnotizen zur Geschichte der österreichischen Vorlande, Innsbruck: Stadtmagistrat 1965, p. 30-32
Erich Egg: Zum dritten Exemplar des Speculum Metallorum, in: Der Anschnitt 25, n° 2 (1973), p. 12-13
Werner Dobras: Das Speculum Metallorum des Abraham Schnitzer von 1590, in: Der Anschnitt 25, n° 1 (1973), p. 3-13
Werner Dobras: Kostbarkeiten der Ehemals Reichsstädtischen Bibliothek Lindau, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung (1973), p. 91-106, esp. p. 104 (online, free)
Helmut Wilsdorf: Die Handschrift des Abraham Schnitzer in Gotha : Ein fünftes Exemplar vom SPECVLVM METALLORVM 1575, in: Bergbauüberlieferungen und Bergbauprobleme in Österreich und seinem Umkreis. Festschrift für Hans Kirnbauer, ed. by Gerhard Heilfurth and Leopold Schmidt, Wien 1975, p. 217-222 (online, free)
Wolfgang Irtenkauf: Neues zum ’Speculum metallorum‘, in: Der Anschnitt 34, n° 2 (1982), p. 89-90
Wolfgang Irtenkauf: Abraham Schnitzer, der ‘gelehrte Scharlatan’ : Leben und Werk eines Bergmeisters im 16. Jahrhundert, in: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum 64 (1984), p. 9-56 (online, free)
Georg Mutschlechner: Zur Geschichte des Bergbaus Gand im Stanzer Tal, in: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum 65 (1985), p. 59-79, esp. p. 68-76 (online, free)
Joachim Telle: Benedictus Figulus : Zu Leben und Werk eines deutschen Paracelsisten, in: Medizinhistorisches Journal 22, n° 4 (1987), p. 303-326 (jstor)
Julian Paulus: Alchemie und Paracelsismus um 1600: Siebzig Porträts, in: Analecta Paracelsica: Studien zum Nachleben Theophrast von Hohenheims im deutschen Kulturgebiet der frühen Neuzeit, ed. by Joachim Telle (Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit, 4), Stuttgart: Franz Steiner 1994, p. 335-386, esp. p. 378 (Academia.edu, free) (A)
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Hartmut Broszinski: Manuscripta chemica in Quarto (Die Handschriften der Universitätsbibliothek Kassel, 3,2,2), Wiesbaden: Otto Harrassowitz 2011
Corpus Paracelsisticum, ed. by Wilhelm Kühlmann and Joachim Telle, vol. 3, Berlin/Boston: De Gruyter 2013, esp. p. 1181-1183
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Kühlmann/Telle, Corpus Paracelsisticum 3 (2013), 1181-1183 (Biogramm)
Paulus, ‘Alchemie und Paracelsismus um 1600’, in Analecta Paracelsica (1994), 378-379 (Biogramm)