Texte/Sudhoff/Die ersten deutschen Vorlesungen und Theophrast von Hohenheim (1887)

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Die ersten deutschen Vorlesungen und Theophrast von Hohenheim (1887)

SS [Karl Sudhoff]: Die ersten deutschen Vorlesungen und Theophrast von Hohenheim. In: Allgemeine Zeitung, Nr. 356 vom 24. Dezember 1887, S. 5260.

[p. 5260] In Nr. 269 dieser Zeitung[1] wird in dankenswerther Weise darauf hingewiesen, das; vor nun 200 Jahren die erste deutsche Vorlesung durch deutschen Anschlag am schwarzen Brett der Universität Leipzig angezeigt wurde.

Wir wollen den Ruhm nicht schmälern, der dem Juristen Christian Thomasius gebührt für die muthige That im September 1687, mit welcher er das „ehrliche schwarze Brett“ der deutschen Sprache eroberte. Das Verdienst aber, die ersten Vorlesungen auf einer deutschen Hochschule in deutscher Sprache gehalten zu haben, gebührt einem anderen Manne, der an deutscher Gesinnung keinem der Besten unseres Volkes weicht, dem großen Arzte Theophrast von Hohenheim!

Geboren im Jahre 1493 zu Einsiedeln als Sohn eines Arztes, des Sprößlings eines alten schwäbischen Adelsgeschlechts, Wilhelm Bombast von Hohenheim, erzogen und unterrichtet in der lateinischen Gelehrsamkeit seiner Tage, hat er lange Jahre die Universitäten in Deutschland, Frankreich und Italien besucht, den Doctorgrad erworben, aber an der wesentlich in dialektischen Spitzfindigkeiten und in Citaten aus Aristoteles, Plinius, Galen und den arabischen Autoritäten sich bewegenden ärztlichen Weisheit jener Zeit kein Gefallen und kein Genüge gesunken. In der Erkenntniß, daß nur in engstem Anschluß an die Natur eine wahre Regeneration der praktischsten aller Wissenschaften zu erhoffen sei, widmete er sich aus eigene Faust dem Studium der natürlichen Vorgänge in der großen Welt und in der kleinen des gesunden und kranken Menschenleibes. Von Wissensdurst getrieben, durchwanderte er fast ganz Europa, keine Quelle der Belehrung verschmähend, forschend, sammelnd und beobachtend im „Lichte der Natur.“ In Kriegszügen, Belagerungen, Stürmen und Schlachten hat er sein Können als Wund- und Leibarzt erprobt, und mit reichen Erfahrungen beladen lehrte er heim ins Vaterland, um dort in emsiger Arbeit die Früchte seiner langen Lehr- und Wanderjahre zu verwerthen und Anderen mitzutheilen.

Im Jahre 1526 wurde er — 33 Jahre alt — nach Basel als Stadtarzt und Professor ordinarius Medicinae berufen. Unter großem Zulauf von Jung und Alt lehrte er dort mehrere Semester mit deutscher Vortragssprache und hat auch in diesen und den folgenden Jahren seines kurzen Lebens in meist deutschen Schriften seine reformatorischen Gedanken der Nachwelt überliefert, ist auch darüber, wie Thomasius, mit der Leipziger Universität in Collision gerathen.

Freilich hat er bei Mit- und Nachwelt wenig Dank geerntet. Muthig hat er sich dem ganzen Heere der auf Galen und Avicenna schwörenden zeitgenössischen Aerzte gegenüber auf die Beobachtung der Natur berufen und aller altüberkommenen Buchgelehrsamkeit den Krieg erklärt. Mit wuchtigen Hieben hat er das morsche Gebäude der 1000jährigen galenischen Weisheit zum Einsturz gebracht und ein neues Gebäude auf den ewigen Grundpfeilern der Naturerkenntniß (ein Jahrhundert vor Francis Bacon und René Descartes) mit frischem Muthe zu errichten begonnen — aber nur Hohn und Verleumdung war sein Dank, wie er selbst klagt, „weil ich allein bin, weil ich neu bin, weil ich deutsch bin!“ Gründe genug, daß der unwürdigste Fanatismus seiner und späterer Zeit gegen ihn keine Gränzen kannte.

Durch den Haß seiner Gegner mit Koth beworfen wie Wenige, ist sein Bild jahrhundertelang nur eine Fratze gewesen. Ein Schwindler, ein Phantast, ein Großsprecher, ein Charlatan, ein Ignorant, so lebt er im Andenken seiner Volksgenossen. Langsam beginnt erst in unserem Jahrhundert (Dank Männern wie v. Murr, F. Jahn, Loos, Damerow, M. B. Lessing, Marx, Locher und Anderen) eine gerechtere Beurtheilung auch dieses Mannes sich Bahn zu brechen, dem man nicht einmal den Ruhm seiner muthigen That, die deutsche Muttersprache zum ersten Male in den Kreisen der Gelehrtenwelt zu Worte gebracht zu haben, gönnen wollte, dem man mit der Lüge dankte, er habe nur deßhalb deutsch vorgetragen, weil er des Lateins nicht mächtig gewesen wäre — eine Verleumdung, welche wir in ihrer Haltlosigkeit an anderer Stelle eingehend darlegen werden.[2]

Nur in einem ist Hohenheim von Christian Thomasius übertroffen worden, als derselbe 160 Jahre nach ihm es wagte, die deutsche Sprache auf das Katheder zu bringen: er hat seinen Vorlesungen ein lateinisches Programm als Vorlesungsanzeige an die „medicae artis studiosos“ vorangeschickt, während Thomasius auch die letzte Consequenz zog und seine deutschen Vorlesungen auch durch deutschen Anschlag bekannt machte.

Doch glauben wir gern, daß der muthige Thomasius von seinem tapferen Vorgänger in Basel keine Kunde hatte, daß er ganz allein durch seine eigenen Erwägungen zu dieser Mannesthat geführt wurde. Aber wenn auch Hohenheims Vorgehen in Basel, weil er nach seiner Flucht von dort nicht an einer anderen Universität seine Vorlesungen fortsetzte, ohne nachhaltige Wirkung aus die deutschen Hochschulen geblieben ist, sondern nur wie ein glänzendes Meteor am Himmel der deutschen Universitäten dahinging, so ist es doch sein unbestreitbares Verdienst, zum ersten Male auf einer deutschen Hochschule deutsche Lehrvorträge gehalten zu haben; und wenn man das Vorgehen Christian Thomasius’ preist, so ist es Pflicht der historischen Gerechtigkeit, seines großen, wenn auch nicht so sehr vom Glücke begünstigten Vorgängers auf den» Katheder zu Basel nicht ganz zu vergessen.


  1. Ein allgemeines deutsches Universitätsjubiläum. Von M. Bendiner.
  2. Im demnächst erscheinenden. 2. Heft unserer „Paracelsus-Forschungen.“