Difference between revisions of "Biographies/Bartholomäus Carrichter"

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| CP1=97$Im Falle des Bartholomäus Carrichter jedenfalls stellte sich die traditionelle Vorstellung, Carrichter (gest. 1567) sei ein Hohenheimscher >Sekretär< und >Paracelsist< gewesen, als Fabulat heraus (vgl. Teile, 1997).  
| CP1=97$Im Falle des Bartholomäus Carrichter jedenfalls stellte sich die traditionelle Vorstellung, Carrichter (gest. 1567) sei ein Hohenheimscher >Sekretär< und >Paracelsist< gewesen, als Fabulat heraus (vgl. Teile, 1997).  
| CP2=335-336$Bartholomäus Carrichter (geb. um 1510 in Rekingen/Kanton Aargau; gest. am 2. November 1567 zu Wien): Nach ärztlicher Tätigkeit am Oberrhein im Raum Basel/ Hagenau/Straßburg und Reisen (1551), die ihn nach Gräz (Posen) und Breslau führten, lebte C. spätestens seit 1556 hauptsächlich in Wien. Er bekleidete hier die Stellung eines >Hofarztes< bzw. >Hofgesindearztes< (»medicus aulicus actualis«) der Kaiser Ferdinand I. (1556/64) und Maximilian II. (1564/76) - war also kein >Leibarzt</»maiestatis personae medicus« - und stand hier Mitgliedern der kaiserlichen Familie sowie Angehörigen des Hofstaats ärztlich bei. C. hielt sich auf Bitte des Kurfürsten August von Sachsen zur Behandlung der Herzogin Katharina (gest. 1561) und anderer Angehöriger der kurfürstlichen Familie mehrmals in Sachsen auf (1556, Torgau 1561, Burg Stolpen 1564). Wahl und Krönung Maximilians zum Römisch-deutschen König führten C. im November 1562 nach Frankfurt/M.; 1563 weilte C. in Augsburg und Wien, 1566 dann führte ihn der Reichstag wieder nach Augsburg. </br> C. hinterließ eine Practica (Straßburg 1575 u.ö.), zwei astromedizinische Werke (Kräuterbuch, Straßburg 1575 u.ö.; Von der Harmonie, Sympathie und Antipathie der Kräuter, Nürnberg 1686; mit dem bereits 1683 gesondert gedruckten Traktat Von den vier Materien der vier Geister) sowie den Traktat Von der Heilung zauberischer Schäden (Straßburg 1608 u.ö.; lat. hrsg. von Georg Abraham Mercklin d. J., 1698), eine gelegentlich Paracelsus zugeschriebene und insbesondere in der sympathisch-magischen Medizinliteratur rezipierte Schrift. C.s Fallbeschreibungen (Liber iudiciorum urinarum, 1563) blieben handschriftlich. Alle Werke gelangten erst posthum (seit 1575) in Druck und fanden nicht nur in M. Toxites, sondern auch im Paracelsisten B. Figulus, in J. H. Cardilucius, Emanuel König, Johann von Muralt und Eberhard Gockel namhafte Herausgeber. Manche Carrichteriana wurden bis in das 18. Jahrhundert nachgedruckt; ihre Wertschätzung bewirkte, daß seit 1606 das Horn des Heils von Philomusus Anonymus (1576), seit 1608 eine Clavis zum Kräuterbuch C.s und seit 1610 die Speisekammer des Hieronymus Bock unter C.s Namen erschienen. </br> C. wurde in der medizinisch-pharmazeutischen Medicina-practica- Literatur immer wieder zitiert. Er stand bei paracelsistisch unverdächtigen Autoren in Geltung, doch erinnerten auch manche Paracelsisten an C.s Werk: Zunächst Petrus Severinus (Idea medicinae philosophicae, 1571), besonders nachdrücklich dann O. Crollius (De signaturis, 1609), der in C. eine seiner wenigen Autoritäten für die Signaturenlehre (neben Paracelsus und G. della Porta), aber auch für eine Simplizienmedizin und astromedizinische Heilpraktiken anerkannte, später dann auch J. B. van Helmont. 1608 jedenfalls konnte der Paracelsist B. Figulus sogar von einer Art Ärzteschule sprechen, die meinte, mit ihrer »Medicina Karrichteriana« (der auf pflanzlichen Simplicien gegründeten Astromedizin C.s) bessere Heilerfolge als die »Galenische Schul« zu erzielen. </br> Lit.: Literaturlexikon, ed. Killy, Bd. 2 (1989), S. 374f. (J. Telle/S. Walther); Teile (1997): hier Einzelnachweise. </br> Kurfürstin Anna von Sachsen, eine tüchtige Laienpharmazeutin, war von den ärztlichen Fähigkeiten Carrichters dermaßen beeindruckt, daß sie einen fachlichen Austausch Carrichters mit der einst wohl angesehensten Adelsmedizinerin des 16. Jahrhunderts, mit der Gräfin Dorothea von Mansfield herbeizuführen wünschte. Nach dem vorliegenden Zeugnis des Toxites wurde Carrichter aber auch von akademisch geprägten Ärzten wertgeschätzt. Dies bekräftigt recht eindrucksvoll K. Gessner, von dem 1563 in seinem Liber amicorum (ed. Durling, 1965, S. 138, Abb. 1) vermerkt worden ist, daß der englische Gelehrte John Dee (der seit 1561 den Kontinent bereiste, sich Kaiser Maximilian näherte und im September 1563 in Bratislava/Preßburg/Pozsony wohl zur Teilnahme an der Krönung Maximilians zum König von Ungarn aufhielt), Carrichter in Wien aufzusuchen erwog, und zwar offensichtlich wegen seines Paracelsismus (Ort und Zeit eines Treffens sind nicht hinlänglich dokumentiert). </br></br> [337] Carrichters Ansehen unter manchen Arzthumanisten unterstreicht die Tatsache, daß Gessner in ihm eine botanische Koryphäe erblickte: wohl die Information, Carrichter habe P. A. Mattioli über hundert (im Kräuterbuch Mattiolis unerwähnte) Pflanzen gezeigt, für durchaus glaubhaft hielt - , oder daß ein Brief Carrichters an J. Dee (Wien, 24. Dezember 1564) hauptsächlich medizinische Ratschläge birgt. - Vgl. Teile (1997), S.721 f. </br></br> [337] Zeugnis für eine persönliche Begegnung des Toxites mit Carrichter; »vnserer freundschafft/ so wir [Toxites und Carrichter] mit einander gehapt«, wird auch unten gedacht. Anderwärts, so scheint es, hinterließ diese Zusammenkunft keine Spuren. - Zu vermuten steht eine Begegnung anläßlich der Wahl und Krönung Maximilians zum Römisch-deutschen König Ende November 1562 in Frankfurt/M., aber auch während des Reichstags 1566 in Augsburg; beider Anwesenheit in Frankfurt und Augsburg ist dokumentiert; vgl. Teile (1997), S. 720. </br></br> [338-341] Gewöhnlich erscheint Carrichter in der neueren Historiographie als ein »Paracelsist«, und zunächst deuten auch manche Umstände darauf, daß Carrichter im Wegestreit der  frühneuzeitlichen Medizin eine paracelsistische Stellung bezog. Immerhin genoß Carrichter Gunst, Vertrauen und Wertschätzung des sächsischen Kurfürsten August, eines Landesherrn, der im Zuge seiner naturkundlichen, insbesondere alchemisch-medizinischen Neigungen mit manchen Paracelsisten Verbindungen unterhielt (siehe Nr. 47: Biogramm), ja hatte J. Dee 1563 in ihm einen Erzparacelsisten erblickt (siehe oben) und gehörte Carrichter zu den persönlichen Bekannten des Toxites, der unter Pochen auf ihre »freundschafft« im vorliegenden Text versicherte, Carrichter habe seinen beruflichen »anfang« und seine ärztliche »erfarenheit « Hohenheim verdankt. Nicht zuletzt nötigt der Umstand, daß J. Crato von Kraftheim, ein Paracelsistenfeind von Rang, zu seinen erklärten Gegnern gehörte, andererseits aber einige entschiedene Paracelsisten, Toxites, K. Widemann, B. Figulus, seine Schriften tradierten, zunächst zu der Annahme, daß sich Carrichter ins noch unformierte Paracelsistenlager geschlagen hatte. </br> Bei näherem Zusehen erweist sich indes die Ansicht vom Paracelsisten Carrichter als trügerisch: Carrichters Schriften bieten zwar gelegentliche Angriffe auf ungenannte »Galenisten«, »Avicennisten« und »Hippokratiker«, wie sie auch von Paracelsus und Paracelsisten allerorten vorgetragen worden sind. Indes stehen diese Attacken bei Carrichter in Diensten einer nichtparacelsischen Pflanzenheilkunde, und stößt man unter den spärlichen Autoritätennennungen auf die Namen von H. Bock und P.A. Mattioli, nicht aber auf den Namen Hohenheims oder bestimmter Paracelsisten. </br>  Bekanntlich spielte im ärztlichen Denken und Handeln frühneuzeitlicher Paracelsisten eine vorab auf mineralische Substanzen gegründete Alchemia medica eine zentrale Rolle. Carrichter aber nahm in durchaus zeitgemäßer Frontstellung gegen bestimmte Aspekte der arabistischscholastischen Pharmakotherapie Teil am humanistisch inspirierten Aufschwung der von O. Brunfels, L. Fuchs, H. Bock oder P. A. Mattioli (und nicht von Paracelsus) repräsentierten Richtung der Arzneipflanzenkunde, die häufig von dem Gedanken beflügelt worden ist, daß man gewisse Krankheiten weitaus wirksamer mit einheimischen »Simplicien « bekämpfen könne als mit transmarin-landfremden Drogen und arabistischen Composita: wachse doch gegen jede Krankheit am Ort ihres Auftretens auch ein Kraut, und zwar das therapeutisch wirksamste. Spezifisch Paracelsische Züge besitzen diese pharmakobotanischen Lehren der Carrichterschen Medizin nicht, und auch in der Sicht des Toxites - so zeigt der vorliegende Text - boten sich in Carrichters »Curationes« keine Resultate Paracelsischer Doktrinen, sondern eine hauptsächlich auf »Wurtzen/ Samen/ Kreüttern/ Plûmen/ vnnd andern einfachen stucken« gegründete, »in lang hergebrachter gewonheit« beim »gemeinen Mann« und »hohen leuthen« erprobte und von  »Erfarenheit« gesättigte Medizin der »schlechten dinge«. Selbst eine pharmazeutische Hauptforderung Hohenheims, nämlich durch alchemische Verfahren das >Unreine< vom >Reinen< zu scheiden, die »Schlacken von Artznei zu tun« (siehe CP, Bd. 1, zu Nr. 11, S.283-285), fand in der Arzneimittellehre Carrichters keinen markanten Niederschlag. Insgesamt gesehen stellt sich die zeitgenössische Rede von Carrichter dem »kreutel doctor« (siehe Nr. 57: Toxites an O. von Salm, 1. Januar 1575) als durchaus realitätshaltig heraus. </br> Ferner kann kein Zweifel sein, daß Carrichter astromedizinischen Konzepten anhing: Er bot im Kreutterbuch Informationen über die »zeichen Zodiaci« und »gradus« der Pflanzen und wollte insbesondere die Arzneipflanzen unter Beachtung von »stett/ zeit/ vnd himlischen influentien« gesammelt wissen, - erfüllte sich also seine »Astronomi« hauptsächlich in einer praxisbetonten Applikation der traditionellen Tagwählerei-Doktrin (siehe Nr. 57). Astronomische Anleihen Carrichters bei Paracelsus schlösse dies nicht aus, zielten doch die rabiaten Attacken Hohenheims wider die aristotelisch-galenistische Medizin häufig auf den (im übrigen unzutreffenden) Umstand, daß man in der ärztlichen Theorie und Praxis »einen grund der Artzney« ignoriere, nämlich die »astronomey«. </br> Paracelsus hatte das Gebäude seiner >Medicina nova< auf vier Säulen errichtet, von denen eine »Astronomia« hieß, und eine astroalchemische Arzneimittellehre vertreten. Erwartungswidrig ergab sich jedoch aus unseren Vergleichen einschlägiger Paracelsica mit astromedizinischen Texten Carrichters für die Vermutung, Carrichter habe vielleicht seinen astromedizinischen Doktrinenhaushalt mit spezifisch Paracelsischen Lehren gespeist, kein fester Anhalt. Umso größere Beachtung verdient die Angabe des Carrichter-Herausgebers J. H. Cardilucius (Zodiacus medicus, in: Officina sanitatis, Nürnberg 1677; zitiert von Marxer, 2000, S. 94), daß Carrichters Astromedizin einem (anderwärts bekannten?) Johannes Wimnerus verschuldet sei. </br> Der selbe Befund: die Absenz Paracelsischer Specifica, ergab sich aus einer Musterung des Buchs Von der Harmonie, Sympathie und Antipathie der Kräuter, und schließlich scheint auch Carrichters wirkmächtigste Schrift, Von der Heilung zauberischer Schäden, gänzlich unabhängig von Paracelsischen Darlegungen zur Maleficium-Bekämpfung bzw. zur Heilung »übernatürlicher« Krankheiten entstanden zu sein. </br> Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die frühneuzeitliche Behauptung, Carrichter sei ein Hohenheimscher »secretary« gewesen (Johann Brün, Mitteilung an S. Hartlib, 1648, zitiert von Wilkinson, 1968, S. 68), aus dem paracelsistischen Legendenarsenal stammt, sich aber auch die neuere Vermutung, Carrichter sei vielleicht zu den persönlichen Bekannten Hohenheims zu zählen (W. Pagel über Carrichter, 1967, zit. von Wilkinson, 1968, S. 68: »personal acquaintance with Paracelsus does not seem impossible«), nicht erhärten ließ. Ferner scheinen der »Medicina Carrichteriana< spezifisch Paracelsische Lehren zu fehlen (anders Müller-Jahncke, 1985, dem zufolge Carrichter Hohenheims Kosmologie »berücksichtigt« habe [S. 88] und sich in Von der Harmonie auf Paracelsus beziehe [S. 173]: ohne Nachweise); vielmehr haben unsere stichprobenartigen Vergleiche gedruckter Carrichteriana mit dem Paracelsischen Textcorpus die vorliegende Feststellung des Toxites, Carrichter habe eine von Paracelsus unabhängige Medizin praktiziert, einen »sunderen [eigenen] weg/ vnd methodum gehapt« (so bald auch in Nr. 57), vollauf bestätigt. Die Toxitische Nachricht, Carrichter sei ihm, dem überzeugten Paracelsisten Toxites, »von wegen Theophrasti Paracelsi [...] zûzeiten züwider« gewesen (mit anderen Worten: Carrichter habe wider Paracelsus und Toxites gerichtete medizinisch- pharmazeutische Ansichten vertreten), scheint im Licht der traditionsgebundenen Pflanzenmedizin Carrichters recht glaubwürdig. Hingegen weist die Toxitische Behauptung, Carrichter habe Hohenheim zwar abgelehnt, trotzdem aber diesem Manne ärztlichen »anfang vnd erfarenheit« verdankt (so bald auch in Nr. 57: Toxites an O. von Salm, 1. Januar 1575, S. )(4r), allenfalls darauf, daß Carrichter am Werk Hohenheims nicht achtlos vorbeiging, nicht aber auf eine Akzeptanz und produktive Assimilation Paracelsischer Lehren; Toxites' Rede vom Paracelsisch beeinflußten Carrichter verdient ebenso wenig Vertrauen wie zahlreiche andere frühneuzeitliche Paracelsifizierungsvorgänge und Mystifikationen aus Paracelsistenfedern auch. - Teile (1997), S. 727-731.
| CP2=335-336$Bartholomäus Carrichter (geb. um 1510 in Rekingen/Kanton Aargau; gest. am 2. November 1567 zu Wien): Nach ärztlicher Tätigkeit am Oberrhein im Raum Basel/ Hagenau/Straßburg und Reisen (1551), die ihn nach Gräz (Posen) und Breslau führten, lebte C. spätestens seit 1556 hauptsächlich in Wien. Er bekleidete hier die Stellung eines >Hofarztes< bzw. >Hofgesindearztes< (»medicus aulicus actualis«) der Kaiser Ferdinand I. (1556/64) und Maximilian II. (1564/76) - war also kein >Leibarzt</»maiestatis personae medicus« - und stand hier Mitgliedern der kaiserlichen Familie sowie Angehörigen des Hofstaats ärztlich bei. C. hielt sich auf Bitte des Kurfürsten August von Sachsen zur Behandlung der Herzogin Katharina (gest. 1561) und anderer Angehöriger der kurfürstlichen Familie mehrmals in Sachsen auf (1556, Torgau 1561, Burg Stolpen 1564). Wahl und Krönung Maximilians zum Römisch-deutschen König führten C. im November 1562 nach Frankfurt/M.; 1563 weilte C. in Augsburg und Wien, 1566 dann führte ihn der Reichstag wieder nach Augsburg. </br> C. hinterließ eine Practica (Straßburg 1575 u.ö.), zwei astromedizinische Werke (Kräuterbuch, Straßburg 1575 u.ö.; Von der Harmonie, Sympathie und Antipathie der Kräuter, Nürnberg 1686; mit dem bereits 1683 gesondert gedruckten Traktat Von den vier Materien der vier Geister) sowie den Traktat Von der Heilung zauberischer Schäden (Straßburg 1608 u.ö.; lat. hrsg. von Georg Abraham Mercklin d. J., 1698), eine gelegentlich Paracelsus zugeschriebene und insbesondere in der sympathisch-magischen Medizinliteratur rezipierte Schrift. C.s Fallbeschreibungen (Liber iudiciorum urinarum, 1563) blieben handschriftlich. Alle Werke gelangten erst posthum (seit 1575) in Druck und fanden nicht nur in M. Toxites, sondern auch im Paracelsisten B. Figulus, in J. H. Cardilucius, Emanuel König, Johann von Muralt und Eberhard Gockel namhafte Herausgeber. Manche Carrichteriana wurden bis in das 18. Jahrhundert nachgedruckt; ihre Wertschätzung bewirkte, daß seit 1606 das Horn des Heils von Philomusus Anonymus (1576), seit 1608 eine Clavis zum Kräuterbuch C.s und seit 1610 die Speisekammer des Hieronymus Bock unter C.s Namen erschienen. </br> C. wurde in der medizinisch-pharmazeutischen Medicina-practica- Literatur immer wieder zitiert. Er stand bei paracelsistisch unverdächtigen Autoren in Geltung, doch erinnerten auch manche Paracelsisten an C.s Werk: Zunächst Petrus Severinus (Idea medicinae philosophicae, 1571), besonders nachdrücklich dann O. Crollius (De signaturis, 1609), der in C. eine seiner wenigen Autoritäten für die Signaturenlehre (neben Paracelsus und G. della Porta), aber auch für eine Simplizienmedizin und astromedizinische Heilpraktiken anerkannte, später dann auch J. B. van Helmont. 1608 jedenfalls konnte der Paracelsist B. Figulus sogar von einer Art Ärzteschule sprechen, die meinte, mit ihrer »Medicina Karrichteriana« (der auf pflanzlichen Simplicien gegründeten Astromedizin C.s) bessere Heilerfolge als die »Galenische Schul« zu erzielen. </br> Lit.: Literaturlexikon, ed. Killy, Bd. 2 (1989), S. 374f. (J. Telle/S. Walther); Teile (1997): hier Einzelnachweise. </br> Kurfürstin Anna von Sachsen, eine tüchtige Laienpharmazeutin, war von den ärztlichen Fähigkeiten Carrichters dermaßen beeindruckt, daß sie einen fachlichen Austausch Carrichters mit der einst wohl angesehensten Adelsmedizinerin des 16. Jahrhunderts, mit der Gräfin Dorothea von Mansfield herbeizuführen wünschte. Nach dem vorliegenden Zeugnis des Toxites wurde Carrichter aber auch von akademisch geprägten Ärzten wertgeschätzt. Dies bekräftigt recht eindrucksvoll K. Gessner, von dem 1563 in seinem Liber amicorum (ed. Durling, 1965, S. 138, Abb. 1) vermerkt worden ist, daß der englische Gelehrte John Dee (der seit 1561 den Kontinent bereiste, sich Kaiser Maximilian näherte und im September 1563 in Bratislava/Preßburg/Pozsony wohl zur Teilnahme an der Krönung Maximilians zum König von Ungarn aufhielt), Carrichter in Wien aufzusuchen erwog, und zwar offensichtlich wegen seines Paracelsismus (Ort und Zeit eines Treffens sind nicht hinlänglich dokumentiert). </br></br> [337] Carrichters Ansehen unter manchen Arzthumanisten unterstreicht die Tatsache, daß Gessner in ihm eine botanische Koryphäe erblickte: wohl die Information, Carrichter habe P. A. Mattioli über hundert (im Kräuterbuch Mattiolis unerwähnte) Pflanzen gezeigt, für durchaus glaubhaft hielt - , oder daß ein Brief Carrichters an J. Dee (Wien, 24. Dezember 1564) hauptsächlich medizinische Ratschläge birgt. - Vgl. Teile (1997), S.721 f. </br></br> [337] Zeugnis für eine persönliche Begegnung des Toxites mit Carrichter; »vnserer freundschafft/ so wir [Toxites und Carrichter] mit einander gehapt«, wird auch unten gedacht. Anderwärts, so scheint es, hinterließ diese Zusammenkunft keine Spuren. - Zu vermuten steht eine Begegnung anläßlich der Wahl und Krönung Maximilians zum Römisch-deutschen König Ende November 1562 in Frankfurt/M., aber auch während des Reichstags 1566 in Augsburg; beider Anwesenheit in Frankfurt und Augsburg ist dokumentiert; vgl. Teile (1997), S. 720. </br></br> [338-341] Gewöhnlich erscheint Carrichter in der neueren Historiographie als ein »Paracelsist«, und zunächst deuten auch manche Umstände darauf, daß Carrichter im Wegestreit der  frühneuzeitlichen Medizin eine paracelsistische Stellung bezog. Immerhin genoß Carrichter Gunst, Vertrauen und Wertschätzung des sächsischen Kurfürsten August, eines Landesherrn, der im Zuge seiner naturkundlichen, insbesondere alchemisch-medizinischen Neigungen mit manchen Paracelsisten Verbindungen unterhielt (siehe Nr. 47: Biogramm), ja hatte J. Dee 1563 in ihm einen Erzparacelsisten erblickt (siehe oben) und gehörte Carrichter zu den persönlichen Bekannten des Toxites, der unter Pochen auf ihre »freundschafft« im vorliegenden Text versicherte, Carrichter habe seinen beruflichen »anfang« und seine ärztliche »erfarenheit « Hohenheim verdankt. Nicht zuletzt nötigt der Umstand, daß J. Crato von Kraftheim, ein Paracelsistenfeind von Rang, zu seinen erklärten Gegnern gehörte, andererseits aber einige entschiedene Paracelsisten, Toxites, K. Widemann, B. Figulus, seine Schriften tradierten, zunächst zu der Annahme, daß sich Carrichter ins noch unformierte Paracelsistenlager geschlagen hatte. </br> Bei näherem Zusehen erweist sich indes die Ansicht vom Paracelsisten Carrichter als trügerisch: Carrichters Schriften bieten zwar gelegentliche Angriffe auf ungenannte »Galenisten«, »Avicennisten« und »Hippokratiker«, wie sie auch von Paracelsus und Paracelsisten allerorten vorgetragen worden sind. Indes stehen diese Attacken bei Carrichter in Diensten einer nichtparacelsischen Pflanzenheilkunde, und stößt man unter den spärlichen Autoritätennennungen auf die Namen von H. Bock und P.A. Mattioli, nicht aber auf den Namen Hohenheims oder bestimmter Paracelsisten. </br>  Bekanntlich spielte im ärztlichen Denken und Handeln frühneuzeitlicher Paracelsisten eine vorab auf mineralische Substanzen gegründete Alchemia medica eine zentrale Rolle. Carrichter aber nahm in durchaus zeitgemäßer Frontstellung gegen bestimmte Aspekte der arabistischscholastischen Pharmakotherapie Teil am humanistisch inspirierten Aufschwung der von O. Brunfels, L. Fuchs, H. Bock oder P. A. Mattioli (und nicht von Paracelsus) repräsentierten Richtung der Arzneipflanzenkunde, die häufig von dem Gedanken beflügelt worden ist, daß man gewisse Krankheiten weitaus wirksamer mit einheimischen »Simplicien « bekämpfen könne als mit transmarin-landfremden Drogen und arabistischen Composita: wachse doch gegen jede Krankheit am Ort ihres Auftretens auch ein Kraut, und zwar das therapeutisch wirksamste. Spezifisch Paracelsische Züge besitzen diese pharmakobotanischen Lehren der Carrichterschen Medizin nicht, und auch in der Sicht des Toxites - so zeigt der vorliegende Text - boten sich in Carrichters »Curationes« keine Resultate Paracelsischer Doktrinen, sondern eine hauptsächlich auf »Wurtzen/ Samen/ Kreüttern/ Plûmen/ vnnd andern einfachen stucken« gegründete, »in lang hergebrachter gewonheit« beim »gemeinen Mann« und »hohen leuthen« erprobte und von  »Erfarenheit« gesättigte Medizin der »schlechten dinge«. Selbst eine pharmazeutische Hauptforderung Hohenheims, nämlich durch alchemische Verfahren das >Unreine< vom >Reinen< zu scheiden, die »Schlacken von Artznei zu tun« (siehe CP, Bd. 1, zu Nr. 11, S.283-285), fand in der Arzneimittellehre Carrichters keinen markanten Niederschlag. Insgesamt gesehen stellt sich die zeitgenössische Rede von Carrichter dem »kreutel doctor« (siehe Nr. 57: Toxites an O. von Salm, 1. Januar 1575) als durchaus realitätshaltig heraus. </br> Ferner kann kein Zweifel sein, daß Carrichter astromedizinischen Konzepten anhing: Er bot im Kreutterbuch Informationen über die »zeichen Zodiaci« und »gradus« der Pflanzen und wollte insbesondere die Arzneipflanzen unter Beachtung von »stett/ zeit/ vnd himlischen influentien« gesammelt wissen, - erfüllte sich also seine »Astronomi« hauptsächlich in einer praxisbetonten Applikation der traditionellen Tagwählerei-Doktrin (siehe Nr. 57). Astronomische Anleihen Carrichters bei Paracelsus schlösse dies nicht aus, zielten doch die rabiaten Attacken Hohenheims wider die aristotelisch-galenistische Medizin häufig auf den (im übrigen unzutreffenden) Umstand, daß man in der ärztlichen Theorie und Praxis »einen grund der Artzney« ignoriere, nämlich die »astronomey«. </br> Paracelsus hatte das Gebäude seiner >Medicina nova< auf vier Säulen errichtet, von denen eine »Astronomia« hieß, und eine astroalchemische Arzneimittellehre vertreten. Erwartungswidrig ergab sich jedoch aus unseren Vergleichen einschlägiger Paracelsica mit astromedizinischen Texten Carrichters für die Vermutung, Carrichter habe vielleicht seinen astromedizinischen Doktrinenhaushalt mit spezifisch Paracelsischen Lehren gespeist, kein fester Anhalt. Umso größere Beachtung verdient die Angabe des Carrichter-Herausgebers J. H. Cardilucius (Zodiacus medicus, in: Officina sanitatis, Nürnberg 1677; zitiert von Marxer, 2000, S. 94), daß Carrichters Astromedizin einem (anderwärts bekannten?) Johannes Wimnerus verschuldet sei. </br> Der selbe Befund: die Absenz Paracelsischer Specifica, ergab sich aus einer Musterung des Buchs Von der Harmonie, Sympathie und Antipathie der Kräuter, und schließlich scheint auch Carrichters wirkmächtigste Schrift, Von der Heilung zauberischer Schäden, gänzlich unabhängig von Paracelsischen Darlegungen zur Maleficium-Bekämpfung bzw. zur Heilung »übernatürlicher« Krankheiten entstanden zu sein. </br> Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die frühneuzeitliche Behauptung, Carrichter sei ein Hohenheimscher »secretary« gewesen (Johann Brün, Mitteilung an S. Hartlib, 1648, zitiert von Wilkinson, 1968, S. 68), aus dem paracelsistischen Legendenarsenal stammt, sich aber auch die neuere Vermutung, Carrichter sei vielleicht zu den persönlichen Bekannten Hohenheims zu zählen (W. Pagel über Carrichter, 1967, zit. von Wilkinson, 1968, S. 68: »personal acquaintance with Paracelsus does not seem impossible«), nicht erhärten ließ. Ferner scheinen der »Medicina Carrichteriana< spezifisch Paracelsische Lehren zu fehlen (anders Müller-Jahncke, 1985, dem zufolge Carrichter Hohenheims Kosmologie »berücksichtigt« habe [S. 88] und sich in Von der Harmonie auf Paracelsus beziehe [S. 173]: ohne Nachweise); vielmehr haben unsere stichprobenartigen Vergleiche gedruckter Carrichteriana mit dem Paracelsischen Textcorpus die vorliegende Feststellung des Toxites, Carrichter habe eine von Paracelsus unabhängige Medizin praktiziert, einen »sunderen [eigenen] weg/ vnd methodum gehapt« (so bald auch in Nr. 57), vollauf bestätigt. Die Toxitische Nachricht, Carrichter sei ihm, dem überzeugten Paracelsisten Toxites, »von wegen Theophrasti Paracelsi [...] zûzeiten züwider« gewesen (mit anderen Worten: Carrichter habe wider Paracelsus und Toxites gerichtete medizinisch- pharmazeutische Ansichten vertreten), scheint im Licht der traditionsgebundenen Pflanzenmedizin Carrichters recht glaubwürdig. Hingegen weist die Toxitische Behauptung, Carrichter habe Hohenheim zwar abgelehnt, trotzdem aber diesem Manne ärztlichen »anfang vnd erfarenheit« verdankt (so bald auch in Nr. 57: Toxites an O. von Salm, 1. Januar 1575, S. )(4r), allenfalls darauf, daß Carrichter am Werk Hohenheims nicht achtlos vorbeiging, nicht aber auf eine Akzeptanz und produktive Assimilation Paracelsischer Lehren; Toxites' Rede vom Paracelsisch beeinflußten Carrichter verdient ebenso wenig Vertrauen wie zahlreiche andere frühneuzeitliche Paracelsifizierungsvorgänge und Mystifikationen aus Paracelsistenfedern auch. - Telle (1997), S. 727-731. </br></br> [352-353] Daß in Carrichter ein umstrittener Arzt begegnet, verdeutlicht seine ansehnliche Gegnerschaft, an ihrer Spitze der kaiserliche Leibarzt J. Crato von Kraftheim, ein princeps medicorum seiner Zeit. Angehörige der medizinischen Fakultät der Universität Wien nannten Carrichter abschätzig einen »empiricus« (einen Mediziner von fachlich zweifelhaftem Rang) und beschuldigten ihn der unerlaubten Behandlung von Hofbediensteten (1559-60); wieder andere, insbesondere Hofärzte, waren ihm dermaßen »faind«, daß sie Carrichter - wie Maximilian 1564 an Albrecht V. von Bayern schrieb - vor Feindschaft »nit ansehen« konnten. Und nachdem es dann Carrichter entgegen seiner kühnen Versprechen mißlungen war, dem Tod Kaiser Ferdinands zu wehren (1564), häuften sich die abschätzigen Urteile über seine Heilkunst, - wurde >Doctor Baccus< (so lautete Carrichters Spitzname in Wien) von Crato von Kraftheim und anderen Zeitgenossen nun noch häufiger in das Licht eines windigen Mannes von >großer Vermessenheit< (Maximilian an Albrecht V. von Bayern, 1564) und eines lügenhaft-pseudogelehrten Fachschriftstellers (so Crato, 1564) getaucht. Die vorliegende Mitteilung des Toxites, »etliche medici« hätten Carrichter »verachtet«, erwuchs aus diesem Befund. - Telle (1997), S. 722 f.  
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Latest revision as of 11:24, 28 June 2024