Corpus Paracelsisticum, v. 2, ed. Wilhelm Kühlmann and Joachim Telle, Tübingen: Max Niemeyer 2004, 126-129
Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz, genannt »der Fromme« (geb. 14. Februar 1515 zu Simmern; gest. 26. Oktober 1576 zu Heidelberg): Statthalter der Oberpfalz (1556), Kurfürst seit 1559 (Residenz: Heidelberg); politische Zentralfigur des europäischen Calvinismus.
F. calvinisierte die Pfalz (1562: Christlichepoliceyordnung; 1563: Kirchenordnung, Heidelberger Katechismus), und zwar mit »solch puritanischer Härte und revolutionärer Radikalität«, wie dies »das Reich von Seiten eines Landesherrn [...] noch nicht gesehen« hatte (Fuchs, 1961, S. 531). Mit dem Sieg der calvinistischen >Disziplinisten< über die zwinglianischen >Erastianer< im Heidelberger Antitrinitarierprozeß (23. Dezember 1572: Enthauptung Johann Sylvans in Heidelberg) konsolidierte F. die Calvinisierung der Kurpfalz. Unter der Herrschaft F.s wandelte sich die Kurpfalz zum »diplomatischen und geistigen Umschlagplatz des europäischen] Calvinismus«, zum »Refugium verfolgter Protestanten aus ganz Europa, und die Heidelberger Universität [...] zu jener internationalen Hochschule des Protestantismus, die Genf ablösen und selbst Wittenberg [...] Konkurrenz« machen sollte (Fuchs, ebd., S. 532). Gewöhnlich gilt, F. habe ein »lebhafteres persönliches Interesse nur für religiöse und praktisch-politische Fragen« aufgebracht (so schon Kluckhohn, 1877, S. 610), scheint die Historiographie über die Rolle vom Medizin und Naturkunde am Heidelberger Hof zu schweigen. Doch allein schon die Tatsache, daß der rigorose Paracelsusfresser Th. Erastus über Jahre sowohl als Arzt als auch führendes Kirchenratsmitglied zu seinen engen Vertrauten zählte, zwingt anzunehmen, daß manche Aspekte der medizinisch-naturkundlichen Kontroversen der 60er und 70er Jahre ins nähere Blickfeld F.s geraten sind. Eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber medizinisch-naturkundlichen Bestrebungen bekundet jedenfalls seine Absicht, die Drucklegung eines (erst nach F.s Tod erstmals Frankfurt/M. 1588 erschienenen) Kreuterbuchs von Jakob Theodor (Dietrich), genannt Tabernaemontanus, geldlich zu fördern (vgl. Theodor, Vorrede an Pfalzgraf Johann Casimir, Neuhausen 1588, in: ders., Neu [...] Kräuter-Buch, Basel 1731), oder F.s geldlicher Beistand bei der Drucklegung des Kreüterbuchs von P. A. Mattioli (Prag 1563; siehe Mattioli, Widmung an Kaiser Ferdinand I., 1563), aber auch F. gewidmete Medicinalia: ein Artzney Buch von Christopherus Wirsung (Heidelberg 1568; Vorrede, an F., Heidelberg 1568), die Reformation Zu guter gesundheit (Frankfurt/M. 1573) von Joachim Strupp (Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Stamp. Pal. IV 858: Autorenexemplar für F.; siehe Bibliotheca Palatina, ed. Mittler, 1986, S. 340f.) oder die anatomischen Tabulae (Nürnberg 1573) von Volcher Coiter (Rom, BAV, Stamp. Pal. I 171: mit handschriftlicher Widmung Coiters; siehe ebd., S. 229f.). Dazu fügt sich, daß F. von dem calvinistischen Arzt G. Grataroli (Basel) eine Pomponazzi-Ausgabe (Opera, Basel 1567; Vorrede: 1. März 1567) gewidmet oder von Nikolaus Rensberger in der Dedikation seiner Geometria Teutsch an F.s >Liebe und Lust< zu >allen natürlichen Künsten< erinnert worden ist (Heidelberg, UB, Cpg. 508; datiert 17. Februar 1565).
Hinzu kommt F.s Einbindung in Austauschvorgänge medizinischpharmazeutischer Texte unter adligen Laienmedizinern. Zwar steht eine systematische Ermittlung der mit dem Namen F.s überlieferten Texte in medizinischen Handschriften aus kurfürstlichem Besitz noch aus, ebenso eine Sonderung dieser Texte von Texten Kurfürst Friedrichs II. Die Teilhabe F.s an der adligen Laienmedizin sichern aber bereits Texte im Cpg. 187 (Bl. 7r, 7V: Rezepte >unsers Herrn Vaters Friedrich<), Cpg. 195/T1. 1 (eine Sammlung Pfalzgraf Reichards, die mit F.s Namen verknüpfte Texte enthält) oder im Cpg. 596 (Bl. 71r: >Von meinem [Reichards] Bruder Herzog Friedrich<).
Vielleicht noch aufschlußreicher ist die Tatsache, daß F. die fachlichen Fähigkeiten gerade eines Wilhelm Rascalon (Heidelberg, seit den 60er Jahren in Worms) schätzte, eines (wohl wegen seiner chemiatrischen Tätigkeiten) ausdrücklich des Paracelsismus verdächtigten Arztes (siehe Nr. 45), ferner, daß F. vom Paracelsisten G. Dorn eine Schrift gewidmet worden ist (Chymisticum artifìcium naturae, Tie. 1-3, o. O., 1568/69).
In Studien zu den Wechselbeziehungen zwischen Paracelsismus und Calvinismus bleibt F. ungenannt (siehe z. B. Trevor-Roper, 1998). Indes war bereits 1565 M. Toxites in F.s Blickfeld getreten (handschriftliche Dedikation seiner Ausgabe der Chrysopoeiae libri tres des G. A. Augurellus) und dokumentiert der vorliegende Brief, daß sich F. spätestens seit 1569 Zielsetzungen der paracelsistischen Alchemia transmutatoria metallorum geöffnet hatte, ja sich von Toxites insbesondere über alchemische Verfahren zur Goldproduktion informieren ließ. Nachdrücklich bestätigt werden diese alchemischen Neigungen F. s durch die Brieftraktate von A. Candidus, einem reformierten Glaubensflüchtling aus den Niederlanden: Operis alchymici epistolae Friderico III. Corniti Palatino Rheni missae (Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Cod. pal. lat. 1336: verfaßt 1570/71 in Neuhausen/bei Worms, F. überreicht vom Hofprediger Petrus Dathenus; vgl. Schuba, 1981, S.465-467), ferner durch Alchemica für F. in der UB Heidelberg: Cpg. 450 (Abraham Schröter, Betrachtung und Lehre der alten Philosophen von dem philosophischen Stein; 50 Bl.; F. von Schröter dediziert zu Erfurt, 21. Dezember 1573: F. habe der alchemischen Kunst >nun [seit] etlichen Jahren< seine Aufmerksamkeit gewidmet); Cpg. 598 (Bl. 140r-v: >An Pfalzgraf Friedrich<; Abschrift, entstanden 1574 zu Heidelberg); zwei von W. Rascalon an F. geschickte Texte (Heidelberg, UB, Cpg. 843, Fasz. 4, Bl. 8r: alchemisch-metallurgischer Text, datiert 1565; ebd., Fasz. 12, Bl. 18r—20v: Aqua vitae-Traktat, datiert 1564). Schließlich stammt »Ayn kunst [Gold] durch [Mercurius] zu augmentirn« (Heidelberg, UB, Cpg. 843, Bl. llr ) vielleicht von F.s Hand (Hinweis von Frau Dr. U. Schofer, Heidelberg, Juni 2002). Konfessionell zwar geschieden, - in alchimicis kam F. mit seinem Bruder Pfalzgraf Reichard von Simmern (1521/98), einem Dedikationsadressaten der Paracelsisten G. Forberger und G. Dorn (siehe Nr. 84: Biogramm) und Gönner des L. Bathodius (siehe zu Nr. 50), durchaus überein.
Vor diesem Hintergrund kann nicht mehr überraschen, daß F. mit dem großen politischen Theoretiker der Hugenotten, dem (zeitweilig in Straßburg und Basel tätigen) Juristen François Hotman/Franciscus Hotomanus (1524-1590) nicht nur religionspolitische Interessen teilte, sondern ebenso »eine uns seltsam erscheinende Liebhaberei [...], nämlich die Beschäftigung mit der Aufsuchung des Steins der Weisen« (Kluckhohn, 1879, S. 436; ohne Nachweis). Beider Beziehungen dokumentieren etwa Hotmans Francogallia (1573), ein F. gewidmetes Werk, Briefwechsel und persönliche Begegnung (Kelley, 1973, s.v. Frederick III). Im Zusammenhang mit einschlägigen Texten, etwa Hotmans pseudonym erteilte Antwort auf die Frage »An Alchemia sit ars legitima?« (Thomas Arfoncinus, De iure alchimiae responsum, in: Johannes Chrysippus Fanianus, De arte metallicae métamorphosées, Basel 1576) oder dichterischer Beigaben Hotmans zu Werken des Paracelsisten J. Duchesne (Ad Iacobi Auberti [...] de ortu et causis metallorum contra chymicos explicationem [...] responsio, Lyon 1575; Sclopetarius, Lyon 1576), fällt der Name F.s freilich nicht. Auch anderwärts scheint ein alchemischer Austausch zwischen F. und Hotman nicht bezeugt (jedenfalls findet sich kein Hinweis bei Kelley, 1973).
ADB, Bd. 7 (1877), S. 606-612 (A. Kluckhohn)
NDB, Bd. 5 (1961), S. 530-532 (P. Fuchs)
Press (1970), S. 221 -266
Schaab (1992), S. 35-49
Hepp (1993), S. 43-95
Kostbarkeiten, ed. Schlechter (1999), S. 29-31, 48-53.