Difference between revisions of "Biographies/Johann Winter von Andernach"

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| CP2=423-427$Johannes Winther (auch Winter, Gwinter, Gwinterius, Guinter, Guinterius, Guintherius) von Andernach (Andernacus), geb. ca. 1505 in Andernach am Rhein, gest. 4. Oktober 1574 in Straßburg, bekannter akademischer Arzt und Medizinprofessor. W. entstammte ärmlichen Verhältnissen, besuchte angeblich (vor allem nach Calaminus, 1575) Schulen bzw. Universitäten in Utrecht, Deventer und Marburg, wirkte als Schulrektor in Goslar, dann in Löwen und Lüttich als Student bzw. Dozent der griechischen Sprache. Wohl schon vorher hatte er das Medizinstudium in Leipzig aufgenommen. Von Lüttich aus wechselte er nach Paris, promovierte dort am 29. Oktober 1532 (nach Calaminus, 1575, V. 306, auch unterstützt durch die Freigebigkeit, liberalitas, des Königs Franz I., der die Promotionskosten übernahm) zum Doktor der Medizin und wurde am 7. November 1534 zum Professor der Medizin ernannt. In diesen Jahren verkehrte W. freundschaftlich mit den Gräzisten Johannes Laskaris (1455-1534) und Guillaume Budé (1468-1540), erwarb sich jedenfalls eine intime Kenntnis des Textcorpus der altgriechischen Ärzte, dies offenbar auch in Zusammenarbeit mit dem Pariser Buchhändler Simon de Colines (Colinaeus) und von der mäzenatischen Gunst des Pariser Kardinals Jean du Beilay (1498-1560) beflügelt. </br> W.s besonderes Interesse galt der Anatomie, die er in Vorlesungen pflegte. Andreas Vesalius, der nachmals berühmte Anatom, gehörte in den Jahren 1533 bis 1536 zu seinen Hörern. W.s einschlägiges Handbuch (Institutiones anatomicae, Paris 1536; Basel 1539, Padua 1590) hielt sich jedoch noch ganz im Rahmen des Galenismus und bestätigte, daß W. als exzellenter Gräzist und Arztphilologe sein Hauptinteresse der Edition bzw. der oft von Kommentaren begleiteten lateinischen Übersetzung autoritativer Schriften der Medicina dogmatica zuwandte. Aus seiner Feder erschienen nach und nach Ausgaben unter anderem von Galen (Galeni aliquot libelli, Basel 1529; De compositione medicamentorum, Paris 1530, Basel 1530; De anatomicis administrationibus, Paris 1531, Basel 1531), von De Hippocratis et Piatonis placitis (Paris 1534), ferner von Paulus von Aegina (Opus de re medica, Paris 1532, Köln 1534, Straßburg 1542, Venedig 1542, Lyon 1551, 1567), Polybus Medicus (De salubri victus ratione privatorum, Basel 1529), Caelius Aurelianus (Liber celerum vel acutarum passionum, Paris 1533), von Oribasius (Commentarla in aphorismos Hippocratis, Paris 1533, Basel 1535, Padua 1658) und Alexander von Tralles (Alexandri Tralliani Medici Libri Duodecim. Razae de pestilentia libellus. Straßburg 1549, Basel 1556); zu den Basler, bei Andreas Cratander erschienenen Galendrukken vgl. Hieronymus (1994), Bd. 1, S. 68-79. </br> Wohl unter dem wachsenden konfessionellen Druck verließ der Lutheraner W. Paris 1538 in Richtung Metz. Aus dieser Zeit stammt ein Brief an Bucer (Metz, 25. Juni 1542; Straßburg, Thomasarchiv; vgl. Bernays, S. 57 f. und Thesaurus Baumianus, 1905), indem sich W. über den konfessionellen Druck und die französische Bedrohung beklagt: »Non possum salva conscientia diu hic manere.« Folgerichtig wandte er sich bald nach Straßburg, wo er, gewiß unterstützt von einem alten Bekannten, dem Akademierektor Johann Sturm (1537 aus Paris nach Straßburg gekommen), seit 1544 die griechische Professur versah, sich jedoch im wesentlichen als Stadtarzt betätigte und eine Reihe von Schriften zur Bäderkunde und Pestbehandlung bzw. -Vorsorge veröffentlichte - unter anderem De victus et medicinae ratione cum alio tum pestilentiae tempore observando, commentarius, Straßburg 1542; Commentarius de balneis et aquis medicatis. Straßburg 1565, verdeutscht von dem Straßburger Arzt Gallus Etschenreutter unter dem Titel: Aller heilsamen Bäder vnd Brunnen Natur, krafft, tugendt, vnd wiirckung, Straßburg 1571. </br> Eine doxographische und zugleich medizinhistorische Summe von W.s Gelehrsamkeit bildete das großangelegte, über 1700 Seiten umfassende Kompendium De medicina veteri et noua tum cognoscenda, tum fadunda commentarli duo (Basel 1571). Hier läßt sich ablesen, was in Toxites' Hinweis auf seine Zusammenarbeit, ja freundschaftliche Beziehung mit W. angedeutet wird: W. muß sich in Straßburg nach und nach mit dem Werk des Paracelsus vertraut gemacht und dabei seine akademisch- galenistischen Überzeugungen, ja den elitären Habitus des gelehrten Arzthumanisten wenigstens teilweise abgestreift haben. Jedenfalls stellt W.s Würdigung der Paracelsischen Naturkunde und Medizin - gerade im Kontrast zu den etwa gleichzeitigen antiparacelsistischen Ausfällen des Thomas Erastus - ein frühes und bemerkenswertes Zeugnis der zwischen den wissenschaftlichen Fronten vermittelnden (>conciliatorischen<) Theorie der Heilkunst und Anthropologie dar. W. widmet Paracelsus im zweiten Teil/Band seines dialogisch angelegten Werkes acht gedrängte Seiten (Commentarli Secundi Dialogus Secundus, S. 24- 32; knappe Paraphrase bei Debus, 1977, S. 140-145), auf denen der eine Gesprächspartner (Geron: paracelsusfreundlich) seinem skeptischen Widersacher (Mathetes: konservativ im Sinne des galenistischen Humanismus) die Eigenarten und Vorzüge der Paracelsischen Doktrin systematisch entwickelt. Warum sich Paracelsus von den antiken Ärzten und ihren Nachfolgern distanzierte, wird fast pedantisch in elf Punkten (S. 28 f.) zusammengefaßt/. »Primum sanè quòd illos, ñeque vera propriaque rerum principia et materiam nouisse, neque idonea quibusque in morbis remedia, vel praeparasse, vel adhibuisse arbitratus sit« [usw.]. Auch auf die Paracelsistische Editionsphilologie und auf die Konflikte der frühen Paracelsusrezeption geht W. ein (Reflex wohl auch mancher Gespräche mit Toxites; S. 30): »Solent enim hodie etiam eius imitatores tarn infidi erga optimos quosque viros esse, vt vtiliores eiusdem libros quos furto compararunt, in lucem edant: praestantiores autem occultent retineantque, aut certe corruptos, non íntegros magno precio vendant, ex alieno labore quaestum faciant: omnes alios medicos, qui Theophrasti libros non habent, prae se contemnant, infament, et tanquam perniciosos homines exsecrentur: cùm tamen ipsi non eruditiores sint, quàm quivis mechanici, ac fabri ferrarij carbonariique, mendaciorum magis, quam veritatis studiosi.« Die Frage, ob sich galenistisch- aristotelische Naturkunde mit der Paracelsistischen im dogmatischen Ausgleich verbinden lasse, wird skeptisch verneint. Auf die Frage, was denn der Medizinstudent angesichts der »controversia professorum « tun solle, antwortet Geron (S. 32): »Veterum medicinam priùs addiscet, in eáque aliquandiu versari, et communes morborum curationes exercere debebit. Post hanc satis perceptam, Theophrasticam inuestigare et cognoscere incipiet. Ita nanque summa cum laude et aegrorum commodo officium suum praestare ac scire poterit, quid fructus ex Galeno, quid contra incommodi comparant: item qua in re Theophrasti scientia illi inseruire: in qua minus possit.« In diesen Sätzen schlägt sich offenbar auch W.s eigener medizinischer Werdegang nieder. Bereits vor Erscheinen dieses Werkes muß W.s Neigung zum Paracelsismus bekannt geworden sein, denn der berühmte Mediziner Konrad Gessner schrieb am 25. Oktober 1565 an den Arzt und Naturforscher Achilles Pirmin Gasser (1505-1577), es bestehe kein Grund zu der Annahme, daß er (Gessner) die Verrücktheiten des W. bewundere (Burmeister, Bd. 3: Briefwechsel, 1975, Nr. 110, S. 361 f.): »Non est, quod metuatis, ne ad sectam illam Theophrastorum, quae vetitas et impias artes probat, deficiam et Andernaci prefecto deliria mirer [so!].« </br> Daß Toxites W. als seinen »Praeceptor« bezeichnet, muß ernstgenommen werden. Calaminus, dessen panegyrischer Versvita, geschrieben nach persönlicher Bekanntschaft mit W., wir wichtigstes Wissen über W. verdanken, gedenkt jedenfalls auch der Freundschaft zwischen ihm und Toxites, ja deutet an, daß Toxites, der kaiserliche Comes palatinus, ihm, W., 1555 einen von Kaiser Ferdinand I. verliehenen Wappenbrief überbracht, wenn nicht sogar bei dessen Besorgung geholfen habe (zum Verhältnis beider s. Calaminus, 1575, ed. Hinterndorfer 1998 mit deutscher Übersetzung, spez. Bd. 1, S. 39f., V. 507-524, hier zitiert ohne Akzente und Ligaturen): </br>  »Non tu pars, Micael, diuine Poeta, fuisti /  Laetitiae innúmeros inter? nonne ipse ferebas / GVINTHERIO titulum, & donasti insignis honores, / CAESARIS ex moniti venisti vt nuncius aula? / Dignus eras tanto offico: praeceptor honore / Dignus erat tantoque tuus: tibi, alumne, Magister / Charus erat, tu portio eras quoque grata docentis: / Tu, cuius grauitas neruosi heroica versus / Intonai, eloquij maiestasque incolit ora: / Nominis & numen multas percelluit oras, / TOXITES: festa redimitus tempora lauro / Visus es, & dios spirasti vertice odores: / Pieriaeque hederis caput implicuere sorores. / Nec tantum Phoebo gaudet Parnasia rupes: / Agglomerante etiam tibi gaudet Apolline vati: / Fata Palatinum Comitem quem diua crearunt: / Vati, inquam, Vates qui lauri obnubit amictu: / Nonne fauent etiam tibi, docte, Machaonis artes?« </br> Toxites selbst schrieb W. ein Grabepitaph, das bei Adam (1620), S. 215, abgedruckt ist. Dazu kommt der elegische Nachruf des Georg Calaminus (Carmen lugubre) in 80 Versen, abgedruckt in: Ed. Hinterndorfer (1998), Bd. 1, S. 260-265. </br> Lit.: Georg Calaminus: Vita Clarissimi, doctissimique viri Ioannis Gvintherij Andernaci medici celeberrimi, heroico carmine conscripta. Straßburg 1575, in: Georg Calaminus: Sämtliche Werke (lateinisch/ deutsch). Bd. 1 - 4 . Hrsg., übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Robert Hinterndorfer. Wien 1998 (Wiener Neudrukke, Bd. 12-15), hier Bd. 1, S. 12-69 (Text und Übersetzung), Bd. 3, S. 1439-1465 (Kommentar); Adam (1620), S. 223-227 (mit dem wohl falschen Geburtsjahr 1487); Jean Bernays: Zur Biographie Johann Winthers von Andernach, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N. F. 16 (1901), S. 28-58; Thesaurus Baumianus: Verzeichnis der Briefe und Aktenstücke. Hrsg. von Johannes Ficker. Straßburg 1905, S. 157 (Hinweis auf drei Briefe an Martin Bucer, Franciscus Dryander und Paulus Fagius); Richard Doli: Das lateinische Epos des schlesischen Dichters Calaminus über den Straßburger Arzt Johann Winther von Andernach. Diss. med. Düsseldorf, Emsdetten 1937; DSB, Bd. 5 (1972), S. 585-586 (C.D. O'Malley); Die Amerbachkorrespondenz, Bd. 5 (1958), Nr. 2532, S.417, Nr. 3181, S.286f. (zu W.s zweiter Heirat mit einer Tochter des Peter Scher von Schwarzenburg und zur Erbschaft seiner Frau); Allen G. Debus: Guintherius, Libavius and Sennert: the Chemical Compromise in Early Modern Medicine, in: ders. (Hg.)'. Science, Medicine and Society in the Renaissance. Essays to honor Walter Pagel. London 1972, S. 151-165; Sitzmann, Bd. 1 (1973), S. 628 f.; G. Schaaf: Jean Gonthier d'Andernach et la Médecine de son temps, in; G. Livet et G. Schaaf: Medecine et Assistance en Alsace. XVIe-XVIIe siècles. Recherches sur l'histoire de la santé. Strasbourg 1976, S. 20-40; Karl Heinz Burmeister: Achilles Pirmin Gasser. 1505-1577. Arzt und Naturforscher, Historiker und Humanist. 3 Bde. Wiesbaden 1970 1975; Debus (1977), Bd. 1, S. 139-145; Anton Schindling: Humanistische Hochschule und Freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538-1621. Wiesbaden 1977 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 77), S. 324-328; Nouvelle dictionnaire de biographie alsacienne, nr. 1 (1983), S. 39 (Robert Steegmann); Jean Lebeau/Jean-Marie Valentin (Hrsg.): L'Alsace au Siècle de la Réforme. 1482-1621. Textes et Documents. Nancy 1985, S 49-51: Auszüge der französischen Fassung eines Pestregiments von W. v. Andernach, Straßburg 1547, mit Hinweisen auf deutsche Fassungen, Straßburg 1564 sowie den lateinischen De pestilentia Commentarius, Straßburg 1565; Klaus Schäfer (Hg.): Johann Winter aus Andernach. Andernach 1986; Karl-Heinz Weimann: Der Renaissance- Arzt Johann Winther von Andernach. Seine Beziehungen zum oberrheinischen Paracelsismus und zum Paracelsus-Lexikon des Michael Toxites, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 7 (1989), S. 215-232; Literaturlexikon, ed. Killy, Bd. 12 (1992), S.357 (Wolf-Dieter Müller-Jahncke); Croll, ed. Kühlmann/ Teile (1998), S. 116f.
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== Online Sources ==
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https://www.alsace-histoire.org/netdba/andernach-d-winter-winther-gonthier-johann/


=== Wikipedia ===
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=== Dictionaries ===
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Latest revision as of 14:30, 28 June 2024