Texte/Sudhoff/Hohenheims literarische Hinterlassenschaft (1904)

From Theatrum Paracelsicum
Karl Sudhoff

Hohenheims literarische Hinterlassenschaft (1904)

[S. 51] Wenn ich einer von der Sektionsleitung an mich ergangenen Anregung folgegebend auch meinerseits an dieser illustren Stelle vor der ganzen wissenschafts-geschichtlichen Welt das Wort ergreife, so kann ich naturgemäss nur über Paracelsus sprechen. Man wird auch nichts anderes erwartet haben. Mein Name in der Wissenschaft ist nun einmal mit dem des Theophrastus von Hohenheim unlössbar verbunden.

Doch auch abgesehen von dieser rein persönlichen Beziehung Hohenheims zu mir, verdient es dieser grosse Arzt aus der Zeit des Erwachens der Wissenschaften vor allen, dass sein Name hier in der ewigen Stadt, in welcher Paracelsus vor bald 400 Jahren geweilt hat, von deutscher Seite bei dieser feierlichen Gelegenheit genannt werde: denn an Universalität naturwissenschaftlichen Denkens und Schaffens, an Originalität und Genialität des weltumspannenden Geistes hat das ärztliche Deutschland in allen Jahrhunderten seines Standes in der Wissenschaft keinen Grösseren, den es ihm voranstellen könnte.

Deutscher in seinem ganzen Wesen ist überhaupt kein Gelehrter zu nennen als dieser schwäbische Adelige, den eine schweizerische Mutter gebar. Als echter Sohn seines Volkes ist er von grossen Wanderungen durch ganz Europa heimgekehrt, unverwelscht und unverfälscht — nehmen Sie ein paar orientirende Worte eines Volksgenossen über sein schriftstellerisches Lebenswerk, über sein kostbares wissenschaftliches Vermächtniss an die Menschheit freundlich auf!

Aus schwäbischem Adelsgeschlechte entsprossen, geboren Ende 1493 zu Einsiedeln in der Schweiz, aufgewachsen seit 1502 zu Villach in Kärnten unter der Hut des ärztlichen Vaters, hat Hohenheim die deutschen, italienischen, französischen Hochschulen besucht und ist [S. 52] nach langen Wanderungen und Fahrten durch Spanien, England, Dänemark, Schweden, Russland, Preussen, Polen, Ungarn, Kroatien kaum dreissigjährig wieder heimgekehrt.

Um’s Jahr 1525 taucht er in deutschen Landen am Oberrhein auf, wo er Kranke heilend und Schüler unterrichtend bald da bald dort sein Wesen treibt.

Wann er begonnen hat, seine Erfahrungen, seine aus beständiger Beobachtung geschöpften neuen Ideen niederzuschreiben, ist ungewiss.

Sicher hat er schon frühe einzelne medizinische oder chemische oder sonstige eigene Beobachtungen oder wichtige Mitteilungen anderer sich aufgezeichnet Auf solchen gelegentlichen Wanderschaftsnotizen beruhen zum Beispiel die bei Joh. Homelius zu Pettau in der Steyermark zurückgelassenen beiden Manualia, die man als eigentliche „Schriften“ Hohenheim’s nicht betrachten kann.

In frühen Jahren scheint er sich mit dem Plane eines grossen Gesammtwerkes über interne Pathologie und Therapie getragen zu haben, welches unsicherer Ueberlieferung nach 53 Bücher zählen sollte. Aus diesem grossen Entwurf sind uns nur drei ausgearbeitete Bücher erhalten; das 6ᵉ Buch von den tartarischen Krankheiten, das 7ᵉ Buch von den Krankheiten die der Vernunft berauben und das 9e Buch von den Kontrakturen, welche wie Stichproben erkennen lassen, dass Hohenheim, weit davon entfernt, nach dem alten Schlendrian seiner Zeit a capite ad calcem sein Thema abzuwandeln, verwandte Krankheitsformen gruppenweise zusammenstellte und in ihrem inneren Zusammenhang zu erfassen und darzustellen versuchte. An Dispositionen und übersichtlichen Entwürfen über Geplantes ist sonst im handschriftlichen Nachlasse Hohenheim’s kein Mangel; schade dass uns gerade zu diesem grossen Werke jede Uebersicht über die geplante Anordnung völlig verloren ist.

Eng hieran anzuschliessen scheinen sich die in doppelter Bearbeitung erhaltenen elf Traktate vom Ursprung und Ursachen der Wassersucht, Schwindsucht, Farbsuchten, Kolik, Schlag, Taubsucht, Würmer, Stuhllauf, Podagra, Fallsucht und des kalten Wehes.

Doch schon mit grösseren Entwürfen trug er sich in der vorbasilianischen Zeit. So gehen die grossartigen „paramirischen“ Konzeptionen über allgemeine Krankheitsätiologie, wie sie in der Lehre von den fünf Entien des Paramirum primum uns entgegentreten, schon zweifellos in diese Zeit zurück. Ja, es scheint mir, als ob dieses vielleicht gewaltigste aller theoretischen Werke Hohenheim’s in einem Guss vor Basel bereits vollendet worden wäre und im Jahre 1529/30 höchs- [S. 53] tens die letzte Feile erhalten hätte. Jedenfalls athmet es ganz den jugendlichen Enthusiasmus des vorwärtsstürmenden Neuerers.

Auch die Archidoxen, das Grundwerk der neuen spezifischen Heilmethode auf chemischer Basis, sind in dieser drängenden Jugendzeit verfasst, zugleich mit den Büchern De Renovatione und Restauratione und dem ersten Buche vom langen Leben. Auch eine deutsche Kräuterkunde hat er in seinem Herbarius damals entworfen und meteorologische und Bäderschriften vorbereitet.

Mitten in diesen schriftstellerischen Arbeiten traf ihn zu Strassburg oder zu Neuenburg am Rhein die Berufung nach Basel, welche seine Autorenthätigkeit auf andere Wege wies.

Noch waren sie ja nur zum kleinsten Theile auch nur entworfen, geschweige ausgeführt, die „medicinae et physices et chirurgiae libri, quorum et ipse auctor“, die er seinen Baseler Universitätsvorlesungen zu Grunde legen wollte.

Nur die 7 Bücher De gradibus et compositionibus receptorum et naturalium waren vielleicht schon im Entwurfe vorhanden, da sie sich den eben genannten, allgemein pharmakologischen und therapeutischen Schriften direkt anschliessen, wenn sie auch einen mehr überleitenden als reformatorischen Charakter tragen, also zur Einführung des Hörers in das neue, fremde Anschauungsgebiet besonders gut dienen konnten.

Zu Vorlesungszwecken ausgearbeitet hat Hohenheim weiter die Bücher De Praeparationibus, von der arzneilichen Bereitung der anorganischen und pflanzlichen Heilstoffe, deren Kollegienheft in der Mitte abbricht; dies Thema kam also wohl im Wintersemester 1527/28 zum Vortrag.

Auch über Purgiren und Aderlassen hat er ein kurzes Kolleg vorbereitet und, anscheinend unter Anknüpfung an die oben genannten „eilf Traktate“, in den 14 Büchern der Paragraphen als aphoristische specielle Pathologie und Therapie eine Auslese häufiger Krankheitsformen kursorisch abgehandelt, während er in dem Liber de Icteritiis eine andere Erkrankungsform ausführlicher herausgreift und in den zwei Büchern De morbis ex tartaro oriundis eine erschöpfende monographische Klarlegung dieser wichtigen, von ihm neu aufgestellten ätiologischen Krankheitsgruppe zum Vortrag bringt, indem er kurze lateinische Leitsätze diktirt und einen weitläufigen deutschen Kommentar anfügt.

In einem besonderen Kolleg, während der sonst vorlesungsfreien Hundstage 1527, hat Hohenheim die Semiotik des Harns und Pulses [S. 54] vorgetragen, weiterhin kommentierend über die Aphorismen des Hippokrates und anscheinend auch über die Poëmata Macri de virtutibus herbarum gelesen.

Als Doktor beider Arznei hat er auch die Chirurgie nicht vernachlässigt und, während die internmedizinischen Vorträge theilweise noch lateinisch gehalten wurden, rein deutsch ein Kolleg über Verletzungen der verschiedenen Gewebe und Organe und eines über äussere chirurgische Krankheiten gehalten, welche uns beide in mehrfachen Nachschriften überliefert sind und einen bedeutenden Reichthum eigener Erfahrung und selbständige Anschauungen auf diesen chirurgischen Gebieten erkennen lassen.

Wahrlich, wenn man bedenkt, dass die ganze Baseler Lehrthätigkeit Hohenheim’s im höchsten Falle 1½ Jahre, wahrscheinlich sogar nur 10 Monate gedauert hat, so muss man sagen, dass Paracelsus in dieser kurzen Zeitspanne, wie so oft in seinem Leben, geradezu fieberhaft schriftstellerisch thätig gewesen ist. Und nebenbei hat er zahllose Kranke besucht, auch mit seinen Schülern, und botanische Exkursionen veranstaltet, wie überliefert wird.

Doch damit noch nicht genug! Auch die übrigen wissenschaftlichen Entwürfe haben neben diesen Ausarbeitungen für die Baseler Lehrvorträge nicht geruht: die freie schriftstellerische Arbeit ging rastlos weiter.

Hatte die Lehrthätigkeit den gewissenhaften Mann naturgemäss dazu geführt, die Summe seiner Erfahrungen, das Fazit zu ziehen, sich Rechenschaft darüber abzulegen, wie weit er denn nun mit dem Ausbau seiner eigenen Gedanken in Theorie und Praxis gekommen sei, so sehen wir nun die Fülle seiner Beobachtungen, Anschauungen und Abstraktionen sich in immer neuen chirurgischen, medizinischen, naturwissenschaftlichen und philosophischen Abhandlungen ergiessen, immer neue Gussformen füllend mit dem Edelmetall seiner neuen Naturbeobachtung aus den Schmelzöfen seiner schaffenden Phantasie.

Aber auch jetzt ist er nicht „fertig“, ewig bleibt er ein Werdender. Immer wieder wird aus der Beobachtung in der freien Gottesnatur, im Laboratorium und am Krankenbette neues Edelerz gewonnen, stets wieder von neuem die alten Formen eingeschmolzen und neue Werke gebildet, wie zum Beispiel die Tartarusschriften und die Wundarznei in ihren verschiedenen erhaltenen Gestalten darthun.

In Basel entstanden neben den Vorlesungskonzepten vor allem die fünf Bücher De vita longa, ein dunkel gehaltenes Werk über [S. 55] Lebensverlängerung und Krankheitsbekämpfung durch wirkungsvolle Therapie. Auch die Niederschriften De Podagricis scheinen bis in die Baseler Zeit zurückzugreifen, zum Theil sogar in noch frühere Zeit; in ihnen finden sich namentlich schon Vorstudien zu den Paramirum II und zum Paragranum.

Als letzte Baseler Arbeit möchte ich die Bertheonea betrachten, den ersten Entwurf einer allgemeinen chirurgischen Pathologie und Therapie, der ein Torso geblieben ist, hauptsächlich von Wert als Fixirung seines damaligen Standpunktes in der Auffassung der Wundinfektion und Wundheilung, der Entstehung der Verschwärungen und Abscessbildungen etc. und durch die kulturgeschichtlich interessante Vorrede.

Einen Theil dieser allgemein-chirurgischen Gedanken hat Hohenheim in Kolmar unter theilweiser Benutzung des schon vorliegenden Textes in Zusammenhang monographisch ausgeführt in den 7 Büchern Von den offenen Schäden.

Ein anderes, damals zur Chirurgie gezähltes, Gebiet hat er gleichzeitig in Angriff genommen und in einer ganzen Reihe von Schriften behandelt, die Syphilis, die ihn 1 Jahre lang in hervorragendem Maasse, ja scheinbar fast ausschliesslich, beschäftigt hat und in einer ganzen Reihe von Einzeldarstellungen ihre Erledigung fand — Vom Holz Quajah, Drei Bücher von der französischen Krankheit (Imposturen), Acht Bücher von Ursprung und Herkommen der Franzosen, Spitalbuch — nachdem er in Kolmar zu Dedikationszwecken das ganze Gebiet in zehn Büchern zum ersten mal in einem Zuge zu schildern versucht hatte.

Dass neben der Syphilis in den Jahren 1528-1530 kein anderes Thema ihn beschäftigt habe, darf man jedoch nicht annehmen. Zunächst hat er seine Studien in den Schweizer-und Schwarzwaldbädern, die er grossentheils schon in vorbasilianischer Zeit gemacht hatte, endgiltig zusammengefasst und den Büchern Von den natürlichen Bädern ihre heute noch erhaltene Gestalt gegeben. Weiter berichtet die Sage aus des Heimatstadt seiner Familie, Esslingen, von reicher alchemistischer Thätigkeit Hohenheims im Jahre 1529; doch selbst angenommen, dass dieser legendären Ueberlieferung etwas Thatsächliches zu Grunde liegt, so scheinen mir die paar erhaltenen praktisch alchemistischen Schriften, falls echt, wesentlich älteren Datums zu sein.

Dem Zeitgeschmacke entsprechend hat Hohenheim im Jahre 1529, die erste astrologische Praktik erscheinen lassen, wie ich daraus schliesse, dass dieser „Practica gemacht auf Europen“ ein Nachwort [S. 56] an die „Astronomos“ beigegeben ist, welches programmatisch seinen allgemeinen astrologischen Standpunkt klarlegt. Vielleicht hat er in der Esslinger Nothlage diesen Gedanken gefasst. Jedenfalls ist er diesem Brauche der jährlichen Prognostikationen von nun ab fast regelmässig treu geblieben, mindestens bis zum Jahre 1539, also volle 10 Jahre: er scheint also an diesen Spielereien seiner geistreichen Laune besonderes Gefallen gefunden zu haben. Das Honorarergebniss wird man dabei kaum in Rechnung ziehen können.

Auch Epilepsie und Hysterie scheinen ihn 1528-29 beschäftigt zu haben; wenigstens weisen die Schriften De Caduco und De Caduco matricis stark in diese Zeit, ebenso die Vorarbeiten zum Paragranum, Gerade von dieser Schrift sind besonders zahlreiche erste Ausarbeitungen und Konzepte uns erhalten, die theilweise noch in voller unmittelbarer Lebendigkeit an die Baseler Schlusskatastrophe anknüpfen, während die fertige Gestalt des bedeutenden Werkes, in welchem er in scharf pointirter Weise als die allgemeinen Grundlagen ärztlicher Kunst: Naturerkenntniss (irdische und kosmische Physik), Scheidekunst und reine, menschenfreundliche Gesinnung aufstellt, aus dem Frühling 1530 stammt. Dies grundlegende Werk führte ihn direkt dazu, die allgemeine Krankheitsätiologie von neuem zu bearbeiten, die er im „Volumen medicinae Paramirum“ schon Jahre vorher festgelegt, aber nun bei den Untersuchungen über die Entstehung der Lustseuche vielfach gestreift und in neue Beleuchtungen gebracht hatte. Das in St. Gallen 1531 in der Hauptsache fertig gestellte Paramirum II hat denn auch eine durchaus andere Gestalt angenommen, ist wesentlich konkreter, mehr nach praktischen Gesichtspunkten gefasst, wenigstens mit dem hochfliegenden, konsequent durchdachten philosophischen Jugendwerke verglichen. Doch kann ich auf Einzelnheiten hier nicht eingehen.

Zu Ende des Jahres 1530 schiebt sich dann die Nördlinger Pestschrift (Zwei Bücher von der Pestilens) ein, welche wohl Eingebungen des Augenblickes oder dem Wunsche von Nördlinger Freunden ihre Entstehung verdankt, wie die Kometenerscheinungen der Jahre 1531 und 1532 eine Anzahl kleiner Kometenschriften und Verwandtes ins Leben riefen.

Bittere eigene Noth, konfessionelle Streitigkeiten ringsum, durch beide verkörpert „der Menschheit ganzer Jammer“ entführten nun für Jahre, zwar nicht den „armen Kranken“ ihren treuen Arzt, aber der Medizin ihren fleissigsten schriftstellerischen Arbeiter (1532-1535).

[S. 57] Das Mare magnum der philosophischen und theologischen Spekulation verschlang ihn mit seinen Wogen. Jedoch ich will das Ergebniss dieser Abkehr von der Medizin — eine lange Reihe hochbedeutender theologischer Abhandlungen — heute nicht weiter berühren.

In diesen Jahren erneuter Bergeinsamkeit ist auch das Volumen primum suae philosophiae de divinis operibus et secretis naturae in 23 Büchern entstanden, ingleichen das Volumen secundum de vita beata. Vielleicht sind auch die durchaus originellen Bücher über die Bergsucht (die Bergkrankheiten) in diesen Jahren fertig gestellt oder wenigstens neu durchgesehen worden; denn er erwähnt ihrer öfters gerade in den nächstkommenden Jahren und mag von Innsbruck aus auch seine alten Lehrstätten in den Bergwerken der Grafen Füger im Oberinnthal von neuem besucht haben (1534-35).

Wieder auftauchend aus dem Meere des Elend und der theologischen Weltverlorenheit trifft ihn unter dem Brenner die heranrückende Pest, der er das populäre Pest-Büchlein an die Stadt Sterzing entgegenhält (1535).

Tartarusforschungen und Heilquellenstudien im Engadin und in Pfeffers vollenden das Bekehrungswerk, und im Sommer 1536 bringt er die ersten beiden Bücher der grossen Wundarznei über Wundheilung und Verschwärungen zum Druck, giesst seine Tartarus - Erfahrungen und - Gedanken in ihre letzte Gestalt (für Pfarrer von Brandt in Eferdingen), packt in Mähren zum letzten Male die Franzosenkrankheit an (als 3. Buch der grossen Wundarznei, das ein Torso blieb) und beginnt im selben Sommer 1537 seine Astronomia magna oder philosophia sagax der grossen und kleinen Welt, gleichfalls das Ergebniss einer langen Kette von Vorarbeiten und gleichfalls nicht völlig zu Ende geführt, trotzdem in seiner weltumspannenden Totalität eine seiner genialsten Konzeptionen, wenn auch in’s okkulte Gebiet weit hinüber greifend. Die neun Bücher De natura rerum stellen in ihren möglicherweise echten Theilen eine kecke Mystification dar — „ich bin des trocknen Tons nun satt“! — wie bequem sich auch ihr okkultistisches Gepräge an den Eferdinger Okkultisten-Verkehr und die „Philosophia sagax“ anzuschliessen scheint.

Durch neue Kämpfe mit der Missgunst der Wiener Kollegen wird Hohenheim unsanft auf den realen Boden zurückgestossen und schreibt in den heimatlichen Kärntener Bergen, schneidig wie mit der Klinge des Schwertes, seine sieben Defensiones und den Labyrinthus Medicorum, in welchem uns seine ganze wissenschaftliche Persönlich- [S. 58] keit, der ungebeugte Kämpfer für die klar erkannten Principien des Fortschrittes noch einmal in ungeschwächter Kraft und Frische als echter Reformator der Heilkunst entgegentritt in seiner ursprünglichen Grobkörnigkeit und bergquellenklaren Reinheit und Tiefe.

Auf die letzten beiden Lebensjahre des Reformators in und um Salzburg lassen sich mit einiger Bestimmtheit nur einige theologische Niederschriften verweisen, und wir sind am Ende mit diesem chronologischen Ueberblick über Hohenheim’s literarische Hinterlassenschaft, der auch im Medizinischen das Erhaltene kaum zur Hälfte erschöpft— und wie gewaltig ist schon dies kurz skizzirte Ergebniss seines Schaffens, das für ein langes Leben schon erstaunlich genug wäre, um so Staunen erregender für ein so kurzes, das mit 47 Lebensjahren sein Ende fand und unter den widrigsten Verhältnissen beständigen Hin- und Herwanderns sich erschöpfte!

* * *

Naturgemäss ist dies ruhelose Wanderleben, das ja so gar nicht passen will zu wissenschaftlicher Schriftstellerei, auf den Ueberlieferungszustand der literarischen Hinterlassenschaft Hohenheims nicht ohne einschneidende Einwirkung geblieben.

Wie rasch Hohenheim auch gelegentlich produzirt haben mag, so hat er es doch durchaus nicht leicht genommen mit seinem literarischen Schaffen. Im Gegentheil! Immer und immer wieder hat er das selbe Thema, das ihn einmal gefesselt hatte, von neuem zur Hand genommen, um es immer grösserer Vollkommenheit entgegenzuführen.

Wir haben auf diese Art zahlreiche Einzelschriften in mehrfacher Ausarbeitung vor uns aus den verschiedenen Perioden seines Schaffens, leider nicht immer unter Wahrung der für den Schaffenden selber wünschenswerten Kontinuität. Und daran tragen die Unterbrechungen und Fährnisse des ewigen Wanderlebens hauptsächlich die Schuld.

Nicht nur dass er frühere Entwürfe und Ausarbeitungen ab und zu als Dedikationen an einflussreiche Personen verwendete, dass er eben fertige Werke, in der Hoffnung, die Drucklegung dadurch zu erreichen, an hochmögende Stadtpotentaten hingab und, wenn die Hoffnung trog, nachher nicht einmal selber ein geschriebenes Exemplar mehr besass; er hat auch manches Manuskript an einzelnen Raststätten bei zuverlässigen Leuten, wie er meinte, in Verwahr gegeben, ohne dass er dessen später wieder habhaft werden konnte, und manches andere wurde ihm wohl auch entwendet oder gerieth in anderer Weise in Verlust, um gelegentlich nach langen Jahren in der Gemeinde [S. 59] seiner Jünger wieder aufzutauchen und in durchaus unfertiger Gestalt weiter abgeschrieben oder wohl gar in Druck gegeben zu werden.

Daneben sind aber auch Ausarbeitungen überliefert, welche deutlich die Spuren der Weiterentwickelung und Umarbeitung in den verschiedensten Stadien aufweisen, so dass sich gut erkennen lässt, wie Hohenheim mit der Form der Darstellung gerungen, gelegentlich ärgerlich, wenn’s nicht vom Fleck gehen wollte, die Feder hinwarf und die Weiterarbeit auf eine bessere Stunde verschob, wie er nicht nur Form und Ausdruck glättete und klärte, sondern auch die heftigen Stimmungsergüsse zürnenden Augenblicks, die er feuersprühend aufs Papier geworfen oder stürmisch vorsprudelnd seinen Schülern diktirt hatte, in klargestaltenden Zeiten seelischer Ruhe endlich maassvoll für die Veröffentlichung in überlegter Fassung milderte und festlegte.

Aus allen Stadien der Fertigstellung und Gestaltung sind uns derart grössere und kleinere Abhandlungen, Abschnitte und Fragmente erhalten, verhältnissmässig Weniges in dem bei Beginn der Arbeit erschauten Zustande der Vollkommenheit, in dem er es an Mit- und Nachwelt hinausgehen wollte.

Das muss man vor allem bei der Sichtung und Beurtheilung und Werthung von Hohenheims schriftstellerischem Nachlass festhalten. Das öfters Verletzende, Derbe oder in anderer Weise Anstössige in seinen sog. „Werken“ beruht vornehmlich auf diesen Umständen, ebenso die stellenweise Ungelenkheit und Unverständlichkeit des Ausdruckes, ein wie guter Stilist Hohenheim auch anderwärts wieder ist. Ja, er hat ebenso redlich um die Form seiner Abhandlungen gerungen, wie um die Erfassung und Ausgestaltung seiner hochfliegenden und weitschauenden Gedanken und um das körperliche und seelische Wohlergehn der ihm anvertrauten Kranken. Ein ehrlicher Wahrheitssucher und -Kämpfer auf allen Gebiete seiner Bethätigung!

Aber, wie gesagt, für die Beurtheilung und namentlich für die Herausgabe seiner Schriften sind, was über den Zustand ihrer Ueberlieferung gesagt wurde, ganz besondere Schwierigkeiten, die prinzipiell beachtet und im Einzelnen jederzeit streng festgehalten werden müssen.

Nur die fertigen Werke sind gerechter Weise der Werthung seiner literarischen Persönlichkeit zu Grunde zu legen, wenn auch in eine künftige Gesammtausgabe seiner Werke alle die vorläufigen Entwürfe und Ausarbeitungen als wichtig für die Art seines Schaffens und für das Verständniss der Entwickelung seiner Ideen werden Aufnahme finden müssen, mit ausdrücklicher Betonung ihres nur relativen Werthes wegen ihrer unfertigen oder nur ein Durchgangsstadium darstellenden Gestalt.

[S. 60] Einer derartig abwägenden, nachprüfenden, sich liebevoll versenkenden und sich führen lassenden Bearbeitung und Aufweisung werden auch zahlreiche der immer wieder betonten Wiedersprüche und Inkongruenzen seiner Lehre von selbst sich lösen. Ein anderer Theil fällt unter den Gesichtspunkt der von Tag zu Tag sich weiterziehenden Entwickelung eines nimmer rastenden, stets schauenden, suchenden und grübelnden Geistes, dem jede Stunde neue Ausblicke bringt und jeder Krankheitsfall neue Belehrung bietet, während die schaffende Phantasie des zusammenfassenden und gestaltenden Denkers das ewig Fliessende der neu zuströmenden Erfahrungen immer wieder ummodelt und weiterbildet, wenn auch die Grundanschauungen der neuen Weltbetrachtung immer wieder neu durch die wechselnden Erscheinungen des Lebens in Mensch und Natur durchblinken und Bestätigung zu finden scheinen.

Dieses unablässige Bingen nach Erkenntniss in der Seele des Reformators, auf höchster Temperatur gehalten durch das heisse Verlangen seines brennenden Herzens, der leidenden Menschheit Hilfe zu bringen, hat er selbst einmal, bald am Ende seiner Schaffensbahn im Sommer 1536 in der Einleitung zur grossen Wundarznei mit eindringlichen Worten in schlichter Grösse geschildert, aber trauernd müssen wir sagen, wenn wir den unfertigen Zustand so mancher seiner mitten aus gährender Zeit überlieferten Abhandlungen betrachten:

Hätte ein gnädig Geschick dem stürmenden Eiferer und drängenden Neurer nicht in der ewig schönen Stadt an der Salzach ein frühes Ende bereitet, hätte er mit der olympischen Ruhe eines höheren Alters sein Wissens- und Denkgebäude harmonisch ausführen können, wie anders schaute uns heute das wissenschaftliche Antlitz Hohenheims an!

Um so mehr aber bleibt uns Nachlebenden, namentlich uns deutschen Aerzten zu thun, um aus dem Wuste des gedruckten und handschriftlichen Nachlasses den Grossen unserer Vergangenheit neu entstehen zu lassen, und da ist — fast schäme ich mich, es hier vor dem Ausland, das für die wissenschaftlichen Heroen seiner Vergangenheit auch in Medizin und Naturwissenschaft in monumentalen Gesammtausgaben aus öffentlichen Mitteln schon so Hervorragendes gethan hat, auszusprechen — da ist für Hohenheim eigentlich fast alles noch zu thun!

Wohl hat vor mehr als 300 Jahren ein erlauchtes deutsches Fürstengenschlecht in mehreren seiner Mitglieder, angeweht von der Grösse des Mannes, für den Lebenden und für seine Hinterlassenschaft ewig Preiswerthes geleistet — für Jahrhunderte die Schuld des deut- [S. 61] schen Volkes vorausbezahlt, indem es den werthvollsten Theil seines schriftstellerischen Nachlasses in Verwahr nahm und eine opulente Ausgabe seiner medicinischen, naturwissenschaftlichen und philosophischen Werke ermöglichte, ehe es zu spät war — das erlauchte Haus der Wittelsbacher.

Heute aber scheint mir dies auf Zinseszins angelegte Dankeskapital bis auf den letzten Heller verausgabt: die jetzige Generation muss dringend Hilfe schaffen, dass durch die treue Arbeit sachkundiger und sprachkundiger Gelehrter in erneuter Gestalt erstehe das Lebenswerk eines der grössten Geister jener an Geistesgrössen so reichen Epoche der Wiedergeburt der Wissenschaften, der seiner Zeit um Jahrhunderte vorauseilend im stolzen Fluge seiner Gedanken, erst von der heutigen fortgeschrittenen Wisssenschaft völlig begriffen zu werden beginnt in seiner überragenden Grösse — Theophrast von Hohenheim.