Texte/Sudhoff/Hohenheim und die medizinische Astrologie (1905)

From Theatrum Paracelsicum
Karl Sudhoff

Hohenheim und die medizinische Astrologie (1905)

[S. 78] Nach einer skizzenhaften Schilderung des astrologisch-medizinischen Formelkrams bei Aderlass und interner Medikation weist Vortragender nach, inwiefern Hohenheim im Aderlasswesen von iatromathematischen Gedankengängen völlig frei sich erweist und ausdrücklich betont, dass nur der Arzt und nicht der Sternschauer hier die Entscheidung zu treffen habe nach den Anforderungen des vorliegenden Krankheitsfalles, da nur aus der „Notdurft des Leibes die Zeit gesucht werden soll“ für den Aderlass. Soweit es sich um epidemische Krankheiten handelt, sind kosmische Einflüsse ja nicht ohne Bedeutung, namentlich bei den „Krankheiten des Blutes“. In „gemeinen Blutschäden“ gibt er denn auch genaue Aderlassvorschriften in Besserung früherer Regeln, erklärt dies aber ausdrücklich als Konzessionen an gangbare Anschauungen und therapeutische Maximen („allein dass ihr gen Schul geführt werdet“), während seine eigne Therapie sich auf dem Grundsatz aufbaut: „Das sind die rechten Arzeneien zum Blut, das sind die rechten Aderlässe, die ohne Eisen (d. h. ohne Aderlasslanzette) geschehen“, also interne pharmakologisch-diätetische Behandlung. Ebenso steht es mit dem Purgieren, dessen siderale Regulierung unbedingt abgelehnt wird, ja das überhaupt erspart bleiben sollte bei einem rechten Arzte. Nun gar die Sublimität der Beurteilung der „Urina non visa“ nach der Himmelsfigur! Da vergleiche man die eingehende Harnsemiotik in den Baseler Hundstagsvorlesungen „De urinarum ac pulsuum judiciis!“ — — Also auf allen Gebieten das volle Gegenteil der Lehren der astrologischen Ärzte, der latromathematiker! (So wagt denn auch Siderocrates in seiner epochemachenden Tübinger Fakultätsrede für die astrologische Medizin Hohenheim nicht als Kronzeugen anzurufen.) Nennt er nun aber doch die Astronomie als Grundlage medizinischer Erkenntnis in dem ätiologischen „Paramirum I“ und methodologischen „Paragranum“ . . ., so weist er zunächst die ganze Lehre von den Geburtsaspekten absolut zurück und sieht den Sterneneinfluss zunächst auf meteorologischem und klimatischem Gebiete und auf epidemiologischem, selbst auf dem der Arzneiwirkung. Doch will das ganz etwas anderes bedeuten. Im Grunde genommen, beruht Hohenheims ganze Lehre von der krankmachenden und gesundmachenden Wirkung des Firmaments auf der Vorstellung von etwas unendlich Flüchtigem, das den Weltraum erfüllt, in dem die Gestirne schweben, ohne eigentlich getragen zu werden, von etwas unendlich Feinem, alles Durchdringendem, dem gegenüber das Luftmeer mit seinen Winden etwas Grobsubstanzielles darstellt. Dies Flüchtigste durchdringt auch das Wasser der Tiefe, des Weltmeers, auch unseren Körper; es ist der Träger der krankmachenden Potenzen oder Stoffe (wie man es nehmen will); um gegen so etwas wesenlos Feines, aller Körperlichkeit Entkleidetes wirken zu können, muss auch die Arznei höchste Geistigkeit erreicht haben. In dieses absolut Indifferente kommt durch kosmische Emanationen gleich einem feinsten Dufte das Schädliche und das Nützliche, wie das naturphilosophisch weiter ausgesponnen wird — und doch entgleitet dies hyperflüchtige Krankheitsagens nicht den Händen des Wirklichkeitsphilosophen, „denn das soll der Arzt nicht leugnen, die Krankheit steht in dem Gewicht, in der Zahl und in dem Mass“. Alles, das wirken soll, muss aber diese feinste, flüchtige Form annehmen, „astralisch“ geworden sein, dann ist es nämlich zeugungsfähig geworden; etwas Weiteres will auch die oft vorkommende Wendung nicht besagen: „dass die Corpora sich anzünden von astris“, [S. 79] den Übergang in den astralischen ätherischen Zustand andeuten. Da steckt gar nichts Echtastrologisches darin; denn „eine jegliche Astrologie und dergleichen Prozess ist eine Mutter der Superstition“, des Aberglaubens!