Texte/Sudhoff/Benedict Aretius (1890)

From Theatrum Paracelsicum
Karl Sudhoff

Benedict Aretius (1890)

Sudhoff, Karl (1853–1938): Benedict Aretius. In: Zeitschrift für Vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissance-Litteratur N.F. 3 (1890), S. 143–145.


[p. 143] In seiner „Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften in bernischen Landen“[1] giebt J. H. Graf eine eingehende Würdigung der Verdienste des Berner Theologie-Professors Benedict Aretius (Bendicht Marti), um die Entwickelung der Naturwissenschaften und namentlich als Bahnbrecher für die alpine Litteratur. Doch ist ihm eine in das naturwissenschaftliche Gebiet einschlagende Schrift Marti’s nur dem Namen nach bekannt geworden, welche für dessen naturhistorischen Bildungsgang und auch anderweitig einiges Interesse bietet. Im Jahre 1572 liess Aretius bei Christoph Froschauer in Zürich ein kleines Buch erscheinen, welches den Titel führt: „De Medicamentvrum Simplicivm Gradibvs Et Compositionibus, opus nouum, Physicum partim & Medicum, partim etiam Chymicum, in quinque Libros digestum, authoris incerti. Accesserunt ex Euchopoedij collectaneis in singulos libros Argumenta“. [8°, 6 + 34 + 2 Bll.] Der Verfasser dieser kleinen Schrift war dem Herausgeber selber unbekannt, wie er sagt; auch scheint derselbe allen Historikern der Arzneikunde unauffindbar gewesen zu sein. Albrecht von Haller[2] bemerkte zwar die unverkennbaren Beziehungen der Schrift zur Paracelsischen Medizin und nennt dieselbe „Alchemisticum opusculum hominis Paracelsici.“ Joh. Friedr. Gmelin[3] sah darin den Versuch, „die galenische“ Grundsätze von der Wirkungsart und Bereitung der Arzneien mit den paracelsischen zu vereinigen.“ Kurt Sprengel, welcher das Werkchen offenbar nicht selbst in der Hand hatte, führt „einen gewissen Benedict Aretius“ unter den Paracelsisten auf,[4] und sagt, dass derselbe „eine Materia medica herausgab, in welcher auf die seltsamste Art die Galenische Theorie, mit der Paracelsischen vereinigt, vorgetragen ist.“ Graf nennt unsere Schrift nach seiner Quelle (Fries-Gesner, Bibliotheca), „ein physisch-medizinisches Opus eines alten Schriftstellers.“ Es ist jedoch dies Werk, wie mein Freund Dr. E. Schubert zuerst bemerkt hat, zweifellos auf das Kollegienheft eines Baseler Studenten zurückzuführen, welches derselbe 1527 in Vorlesungen des damaligen Professors Theophrastus [p. 144] von Hohenheim nachgeschrieben hat.[5] Es sind die fünf ersten Bücher von Hohenheims wichtiger Schrift „De Gradibus et Compositionibus Receptorum et Naturalium,“ von welcher auch noch andere fragmentarische Vorlesungskonzepte erhalten sind. Paracelsus hatte dies Werk als Einführung in seine neue Heilmethode für Lehrzwecke verfasst; es bildet somit, wenn man will, einen Übergang von der alten Galenischen Medizin zur neuen „Paracelsischen“ Haller und Gmelin hätten sonach nicht allzusehr neben die Scheibe getroffen, wenn sie auch nicht die Identität mit der Schrift Hohenheims erkannten. Ob sich unter Euchopoedius der Name des Baseler Hörers in Hohenheims Kolleg verbirgt, wollen wir hier nicht untersuchen.[6]

Aretius erzählt in der Vorrede, dass ihm ein Marburger Freund die Schrift als Abschiedsgeschenk gegeben habe. Er vermute, dass dieser Freund selbst nicht gewusst habe, wer der Verfasser des Werkchens gewesen sei; er meint sich zu erinnern, dass demselben die Handschrift aus Sachsen zugekommen sei, vielleicht auch aus Worms oder Speier. Dass es seiner Art nach „Theophrastisch“ sei, bemerkt der Herausgeber gleichfalls, und giebt im Anhang sogar noch einige pharmaceutische Analekten, welche, wie er selber sagt, dem Theophrastus Paracelsius entnommen sind. —

Die Widmungsvorrede datiert „Bernae, Calend. Martij, M.D.LXXII“, ist nun aber von ganz erheblichem Interesse für die Aufhellung des naturwissenschaftlichen Bildungsganges unseres Berner Theologen. Sie ist an den ehemaligen Lehrer des Aretius, den Marburger Professor der hebräischen Sprache, Weigand Happel, gerichtet. Marti erzählt zunächst, wie er nach Marburg kam und sich dort, auf Rat des Paulus Fagius, dem W. Happelius als Schüler anschloss; bald wurde der Verkehr zwischen Lehrer und Schüler ein wahrhaft freundschaftlicher.

Als bald darauf (1546—1547) der Schmalkaldische Krieg ausbrach („triste illud et plusquam civile bellum, quo tota concussa est Germania“), verblieb Marti auf Anraten seines Lehrers in Marburg, obgleich die regelmässigen Studien durch den Krieg erheblich gestört waren. Marburg wurde zwar nicht direkt von den Stürmen des Krieges berührt, aber der Geist der Studenten wurde doch dadurch in hohem Grade erregt. Viele lockte das Waffenhandwerk* aus den Hörsälen fort; andere wurden durch die Furcht vor der siegreichen kaiserlichen Partei zu einer Änderung in ihrer Studienrichtung bewogen, und wieder andere zwang das Ausbleiben von Subsistenzmitteln, andere Bahnen einzuschlagen. Dass auch bei Marti das letztere Moment ins Gewicht fiel, spricht er selber aus. Zwar liess [p. 145] seine Arbeitsamkeit nicht nach, aber um sich seinen Lebensunterhalt zu verschaffen und seine sonstigen Verbindlichkeiten erfüllen zu können, wendete er sich der „Philosophie“ und den „Künsten“ zu, welche ihm einigermassen sichere Zukunftsaussichten boten.

In ähnlicher bedrängter Lage befand sich ein Hausgenosse von ihm, der Magister Johannes Stockius, Kandidat der Medizin, welchem er durch das gemeinsame Missgeschick wohl erst freundschaftlich näher gebracht wurde. Stock beschäftigte sich namentlich mit dem Studium der „Simplicia“, d. h. mit der materia medica, speziell der Pflanzenkunde. Die unfreiwillige Pause in seinen Fachstudien liess unseren Theologen die Gelegenheit mit Freuden ergreifen, sich unter Stocks Leitung mit diesem Wissensgebiete zu beschäftigen, das gleichzeitig mehr Anregung und Abwechselung („plus oblectationis, minus taedii“) versprach. Es wurden Herbarien und Pflanzenabbildungen studiert und botanische Ausflüge unternommen. Aretius fand immer grösseren Geschmack an diesen Studien („mirificam oblectationem“), namentlich unter Führung des „Peripatetikers“ Johannes Stock, der zum Wandern wie geboren schien; ja, er widmete einige Zeit lang der Beschäftigung mit der Pflanzenkunde alle seine Zeit. Kein Berg, kein Hügel, keine Felder, keine Wälder, keine Thäler, Quellen, Gärten, sonnige Plätze, kein Sumpf in der Umgegend Marburgs blieb unbesucht von den beiden fleissigen Pflanzensammlern. Später wurden auch weitere Ausflüge gemacht. Nach Wetter, Siegen, Köln wanderten sie miteinander, um dort bei Freunden der Botanik, in deren Gärten und Sammlungen neue Belehrung zu schöpfen.[7] Besonders nach Siegen wanderte Marti später oft auch allein. Das gemeinsame botanische Interesse knüpfte einen dauernden Freundschaftsbund zwischen ihm und dem Siegener Schulrektor D. Aemilius, der ihm häufig Samen und andere Pflanzenteile zusendete und die damals so hochwichtigen „richtigen Pflanzennamen aus dem Dioscorides“ mitteilte.

Sein „Achates“, Johannes Stock, verliess dann bald Marburg, um zu weiteren medizinischen Studien nach Frankreich zu ziehen und dort den Doktorhut zu erwerben. Er liess sich später in Frankfurt am Main als praktischer Arzt nieder.[8] Beim Abschied in Marburg hatte er, wie schon oben gesagt, dem Freunde das Manuskript der Paracelsischen Schrift geschenkt. Dieser Frankfurter Arzt also ist es hauptsächlich, welchem der Berner Theologe seine lebenslange Liebe zur Naturkunde, namentlich der Botanik, verdankte.


  1. Bern 1888 und 1889; 1. Heft (16. Jahrh.) S. 25—49.
  2. Bibl. medic. practicae II. S. 187 (1777-)
  3. Geschichte der Chemie, I. S. 343. (1797.)
  4. Versuch einer Geschichte der Arzneykunde, 3. Aufl. III. Band, S. 510. (1827.)
  5. Vgl. Schubert und Sudhoff, Paracelsusforschungen, Heft I. S. 58/59. Frankfurt am Main 1887.
  6. Aretius vermutete offenbar etwas Ähnliches, wenn er in der Vorrede ad Lectorem schreibt: „Euchopoedius ... videtur discipulus authoris fuisse, qui ex illius ore libelli interpretationem exceperit. Concisa autem sunt, et minime cohaerentia, ut esse solent, quae studiosi in scholis ex praelegentis ore colligunt negligentius.“
  7. „Wetteras aliquoties accessimus ad D. Puccierum propter Decii hortum. Sigenam fama D. Ämilii excitati, qui tum Scholae illic praeerat, et hortum variis simplicibus habebat cultissimum. Coloniam, ut videremus D. Echtium, qui Roma nuper reversus, dicebatur, rara quaedam attulisse.
  8. Vgl. Wilh. Stricker, die Geschichte der Heilkunde in Frankfurt am Main. 1847. S. 338.