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(Created page with "<div style="color:#ff0000;">'''Karl Sudhoff'''</div> '''Noch einmal Rheticus und Paracelsus (1904)''' <span style="background-color:#92d050;">[S. 329]</span> Der Zufall, der freundliche Gehilfe redlichen Forscherstrebens, hat mir in diesem Frühjahr auf der Fahrt zum Historiker-Kongresse in Rom in der Blütenstadt Florenz eine neue Blume zum Sträusslein meiner Rheticusfindlinge in den Schoss geworfen — hier ist sie. Alter Gewohnheit getreu, habe ich auch beim...")
 
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Karl Sudhoff

Noch einmal Rheticus und Paracelsus (1904)

[S. 329] Der Zufall, der freundliche Gehilfe redlichen Forscherstrebens, hat mir in diesem Frühjahr auf der Fahrt zum Historiker-Kongresse in Rom in der Blütenstadt Florenz eine neue Blume zum Sträusslein meiner Rheticusfindlinge in den Schoss geworfen — hier ist sie.

Alter Gewohnheit getreu, habe ich auch beim Besuche der R. Biblioteca Nazionale Centrale — die kostbare Laurenziana, deren wunderbare medizinische und naturwissenschaftliche Handschriften mit ihrem prächtigen Bilderschmuck reichen Genuss boten, war für Paracelsus ohne Ergebnis — sofort die Frage gestellt, ob nichts Handschriftliches von Theophrast von Hohenheim unter den dortigen Schätzen (18,500 Manuskripte !!) sich befinde. Der stets hilfsbereite Direktor liess sofort nachschlagen, und siehe da, für Paracelsus kaum ein Gewinn, aber für Rheticus ein schlagender Beleg seiner Beschäftigung mit den Schriften des Weisen von Einsiedeln !

In einem Kodex in Folio, betitelt „Varia opuscula Chimica“, signiert „XVI. 8.113“, findet sich auf Blatt [S. 330] 137 folgendes Fragment, von einer geübten Hand um 1575 etwa geschrieben:

Philippi Theophrasti Paracelsi De Alchimia liber Vexationis latine conscriptus per Georgium Joachimum Rhaeticum.

Prohemium.

Vos dilecti et honesti chimice artis magistri, vosque omnes qui desiderio desideratis iuxta magnas chimice artis promissiones ditescere, multumque auri et argenti fabricare sicut hec ars multis id docet modis largiterque promittit. Et uos quicunque in hac arte se aliquando exercitaturi estis, seque eousque uexationibus exposituri donec re ipsa experiamini, quod ea uobis largiatur, et quo modo maximis suis respondeat promissis.

2. Quotidiana .....

[Bl. 137b am Ende:]

11. Sin autem Deus improbis annuerit uotis labor ipsum quandoque invitiabitur oceanum se in transmutatione ad perfectionem.

Damit bricht der Text am Ende des Blattes ab; der Rest ist verloren gegangen.

Der Verlust ist bedauerlich, aber er lässt sich wohl verschmerzen; denn auch so ist eine hochwillkommene Stütze für die fast märchenhafte Kunde des Michael Toxites von einer in seinen Besitz geratenen Archidoxen- Übersetzung des Rheticus gewonnen, ein neuer einwandfreier Beweis für das eingehende Studium, welches der Schweizer Mathematiker den chemischen Schriften des Schweizer Arztes hat angedeihen lassen: wir haben hier ein recht beträchtliches Bruchstück einer lateinischen Übersetzung einer deutschen alchemistischen Schrift Hohenheims durch den bedeutenden Astronomen, eine [S. 331] glückliche Ergänzung unseres im XVI. Bande dieser „Verhandlungen“ S. 349—362 gegebenen Beweismaterials der Paracelsusjüngerschaft des Georg Joachim Rheticus.

Am 28. Oktober 1567 hat Adam von Bodenstein bei Samuel Apiarius in Basel in Druck gegeben den

Liber Vexationum. D. Phil. Theophrasti Paracelsi. Kunst vnd Natur der Alchimia vnd was darauff zů halten sey, durch siben gegründte Regeln gegen den siben gemeinen Metallen zůgericht....",

der zur Ostermesse 1568 in Peter Perna’s Verlag in die Welt ging [cf. Huser 4°-Ed. der Paracelsischen Schriften Bd. VI. S. 375 ff.]. Gleichzeitig kam auch eine lateinische Bearbeitung des Werkchens in den Handel — Willer erwähnt sie schon in dem Messkataloge zur Fastenmesse 1568 —, welche der federschnelle, aber recht mangelhafte lateinische Stilist Gerhard Dorn, ein Schüler Bodensteins, als

PYROPHILIA VEXATIONVMQVE LIBER D. PHIL. THEOPHRASTI PARACELSI ..... Per Doctorem Adamum à Bodenstein ex authoris archetypo Germanico promulgati: Postmodum per Gerardum Dorn quanto fidelius debuit, ac ratio materiae patitur in Latinum sermonem versi.

BASILEAE, Per Petrum Pernam. 1568.

für den Druck fertiggestellt hatte.

Sei es nun, dass unserem Rheticus diese lateinische Übersetzung nicht genügte, sei es, dass ihm nur die deutsche Ausgabe zuhanden kam, oder dass er gar nicht einmal diese kannte, sondern nach einem handschriftlich ihm zugekommenen deutschen Texte, was mich am wahr- [S. 332] scheinlichsten dünkt[1], seine Übersetzung anfertigte — jedenfalls ist in der ganzen gedruckten Paracelsusliteratur von einer lateinischen Bearbeitung dieses, immerhin zweifelhaften, Paracelsischen Traktates durch Joachim Rheticus gar keine Rede. Die Dorn’sche Übersetzung in all ihrer Ungelenkheit wird immer und immer wieder abgedruckt und fand sogar in die Palthen’sche Frankfurter (1603—1605) und in die Genfer lateinische Ausgabe (1658) Aufnahme.

Ja, 1652 veranstaltete Johann Rudolf Glauber in seiner „Operis mineralis pars tertia“ Amstelodami apud Joannem Janssonium nochmals eine selbständige lateinische Bearbeitung dieses vielbenutzten Büchleins, dem er ausserdem einen besonderen Kommentar angedeihen liess. Zum Vergleich möge der Anfang der beiden Übersetzungen Dorns und Glaubers hier nebeneinander stehen:


Dorn 1568. Glauber 1652.
O Vos Alchimiae periti, quotquot etiam vobis maximas pollicemini diuitias, aut auri atque argenti plurimum cupitis extruere: quod Alchimia diuersimodè pollicetur ac docet. Pariter et vos qui labores et vexationes libenter sustinetis, abstinere tamen ab ea minimè vultis, donec vobis eius praemia promissionesque cognita sint: experientia docet in dies... Dilecti et experti artis Alchymisticae, vosque omnes qui multis pollicitationibus ditescere cupitis, multi auri argentique confectione, quod Alchymia ubertim docet et promittit, quique hisce rebus occupati vexari vultis, nec cessare parati donec quid det, quidque promissorum praestet experiamini; uti quotidiana experientia docet...


[S. 333] Man sieht, die Dorn’sche lateinische Eingewandung fällt gegen die Glauber’sche bedenklich ab, doch ist dieser die des Rheticus an Flüssigkeit noch überlegen.

Wir begrüssen das Zufallsgeschenk der Florentiner Handschriftensammlung als gutes Omen, dass in Zukunft bei emsigerer Musterung der Bibliotheken weitere Handschriften auftauchen werden, welche von der Beschäftigung des Georg Joachim Rheticus mit Hohenheim und seiner Chemie noch lauteres und verständlicheres Zeugnis ablegen, als die bisher gefundenen gedruckten und dies Florentiner handschriftliche Dokument.




  1. *) Ein Wolfenbütteler Manuskript vom Jahre 1579 beruht zweifellos auf handschriftlicher Überlieferung und will ausdrücklich nach einer in einem österreichischen Kloster von Hohenheim hinterlassenen Handschrift geschrieben sein (vgl. meine Paracelsus-Handschriften Berlin 1899 S. 124 f. und S. 135 f.).