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Karl Sudhoff

Ueber Theophrast von Hohenheims Bedeutung als Wundarzt (1902)[1]

Sudhoff, Karl (1853–1938): Ueber Theophrast von Hohenheims Bedeutung als Wundarzt. In: Die medicinische Woche und balneologische Centralzeitung 〈Berlin〉, 1902, Nr. 1, S. 1–4


[S. 1] „Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt,Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte" —

Das oftgebrauchte Schillerwort hatte nur zu lange, auch auf Hohenheim angewendet, volle Geltung. Wörtlich genommen stimmt es heute nicht mehr völlig — die Reinheit seines Charakters, die Fleckenlosigkeit seines Wollens und Thuns ist von allen Ernstzunehmenden der letzten Jahrzehnte, die über ihn geschrieben haben, einmüthig anerkannt. Schwankend ist nur noch immer das Urtheil über seine schriftstellerischen Leistungen, seine Bedeutung in der Entwickelung der Heilkunde.

Am wenigsten gewechselt hat noch das Urtheil über Hohenheims Verdienste in der Wundarzneikunst. Seine Zeitgenossen und nächsten Nachlebenden haben gerade seine chirurgischen Schriften nicht anzutasten gewagt, wenn sie auch seine intern-medicinischen und naturphilosophischen Werke in den Abgrund der Hölle verdammten. Auch ein Kurt Sprengel, der ihn sonst so hart beurtheilt, gesteht seine epochemachende Bedeutung in der Chirurgie unumwunden zu. Gründer in seiner trefflichen „Geschichte der Chirurgie“ (Breslau 1859) weiss ihn kaum genug zu preisen. Karl Gussenbauer zeigt grossen Respekt vor Hohenheims Anschauungen über die accidentellen Wundkrankheiten (1832). Aber Ernst Gurlt greift in seinem standard work, seinem kostbaren Vermächtniss an die historisch-medicinische Welt, der dreibändigen Geschichte der Chirurgie (Berlin 1898), wieder ganz auf Albrecht von Haller’s wegwerfendes Urtheil zurück. „Wäre die Chirurgie seinen Lehren gefolgt, wäre sie in den tiefsten Zustand der Barbarei zurückgesunken. Auf ihre weitere Entwicklung ist er zu ihrem Heile ohne Einfluss geblieben.“

Worin mag nun diese Verschiedenheit der Beurtheilung des Werthes der Hohenheimschen Chirurgie begründet sein? Vor Allem in der Nichtbeachtung eines Punktes, der für ganze Bewerthung Hohenheims von grundlegender Bedeutung ist. Hohenheim tritt als Reformator auf. Seine Schriften sind fast alle Streitschriften. Nur in seiner Basler Docentenzeit, in der kurzen, von äusseren Kämpfen widrig durchsetzten Zeitspanne von höchstens fünfviertel Jahren, hat er einen kleinen Anfang gemacht, ein Lehrgebäude der heilenden Kunst, wie er sie schaute, wie er sie übte, von Grund aus aufzuführen. Den Basler Schülern musste er Alles von den Anfangsgründen an lehrend vortragen : seine späteren und früheren Schriften wenden sich an die Aerzte seiner Zeit, setzen alles medicinische Wissen, wie es an den hohen Schulen seiner Tage gelehrt wurde, als bekannt voraus und behandeln nur diejenigen Fragen, meist allgemeiner, principietler Natur, über welche sein Beobachten, Experimentiren und Denken ihn zu abweichenden Anschauungen hatte kommen lassen.

So ist es auch mit den chirurgischen Schriften der späteren Jahre. Das Hauptwerk, „Die grosse Wundarznei“, behandelt nur allgemeine Fragen, hauptsächlich der Wundheilung. Wenn er dabei beispielsweise die blutige Naht verwirft, so ist das nur conséquent und in .seiner allgemeinchirurgischen Denkweise voll begründet. Wer von uns wollte wohl heute eine grössere Wunde, die er nicht selbst mit sterilen Instrumenten gesetzt hat, nähen, ohne eine gründliche Désinfection vorausgeschickt zu haben? Ist diese ihm nicht erreichbar oder aus localen Rücksichten nicht ausführbar, so wird jeder von uns die Wunde lieberungenäht lassen, ehe [S. 2] er sie, überdies noch mit verdächtigen Nadeln und Fäden, zusammenheftet. Nun — Paracelsus war stets in diesem Fall! Er hatte nur zu oft genähte Wunden sich entzünden sehen, Wundkrankheiten hinzutreten sehen und schlimme Ausgänge aller Art beobachtet. Er sagte sich: Ehe ich einen meiner Verletzten diesen Gefahren aussetze, unterlasse ich die Naht lieber völlig. Er wollte die Wunde nicht schliessen über irgend welchen Schädlingen, die von aussen hineingeratben waren und die man doch nicht sehen und entfernen konnte. Darum verbietet er auch das Sondiren der Wunden und jedes Eingehen mit Instrumenten u. s. w. Die Thatsache der Wundinfection war ihm wohlbekannt; er wusste genau, dass bei unverletzter Haut auch grosse Verletzungen der tiefer liegender. Theile weit weniger Bedenken unterliegen. Sein Vorgehen ist von tier Antiseptik geleitet, die er freilich nur ahnend erschaut hat.

Und weiter! Der Wundarzt Hohenheim hat keine neuen Operationsmethoden ersonnen, aber die seiner Zeitgenossen und Vorgänger gekannt und zweifellos auch geübt, trotzdem er, belehrt durch die Erfolge einer medicamentösen Behandlung der Syphilis, die damals noch ganz ins Gebiet der wundärztlichen Behandlung fiel, einem activen Verfahren im allgemeinen abhold war. Laconisch schliesst er hingegen des Oefteren seine Ausführungen über die Heilung gewisser Zustände, z. B. des Blasensteins, mit den Worten, wenn Das nicht hilft oder Das und Das eintritt „so muss man’s schneidengeht aber auf das den Schneidärzten allgemein Be kannte nicht weiter ein. Bei der Abhandlung des kalten und heissen Brandes sagt er nach Darlegung seiner Behandlungsgrundsätze:

„Ihr sollt auch wissen von dem Bein Abschneiden und Sägen, des Ihr Euch am meisten getröstet, das ich in der Gestalt auch nicht Widerreden kann; so es ja durch die Unwissenheit des Arztes dabin kommen wär, ist besser hinweg geschnitten, dann gar verbrannt.“

Grössere Kunst sei es freilich, einem so traurigen Nothbehelf vorzubeugen. Auf das Technische der Operationen geht er nirgends ein; das muss in der Praxis gelernt werden. Zu Beginn der „Grossen Wundarznei“ sagt Hohenheimausdrücklich, dass er das Manuelle der Chirurgie auslasse, weil

„eines Wundarztes Geschicklichkeit solches selbst wissen soll, auch solches im Schreiben nicht begriffen mag werden.“

Er erklärt immer wieder, die Einzelheiten der Wundpflege, die Verbandtechnik fin welcher er aber doch bei den Schienenverbänden und eien Extensionsapparaten besondere Maassnahmen angegeben hat), das lasse sich nicht aus Büchern lernen, nicht schriftlich über liefern; tägliche, langeUebung und Erfahrung sei hier nöthig und directe Anleitung durch Sachverständige.

„Ists doch der Geschrift nicht möglich alles zu begreifen [umfassen]; man soll sich im selbigen ein Exempel nehmen bei einem Schmied, der einen jeglichen Streich sonderlich lernen muss und eines jegiLben Eisens und Köhlens Art sonderlich kennen, darum muss er lernen und wandern zu denen, die es können.“

Um die Einrenkung der Gelenke kennen zu lernen, scheut er sich nicht den Rath zu geben, zu Henkern und Foltersknechten in die Lehre zu gehen, das Aus- und Einrenken der Glieder auf der Folter zu beobachten! Und am Schluss des 1. Buches der „Bertheonea" sagt er ausdrücklich, dass er etliche chirurgische „Meisterstücke“ bei Wunden des Hirns und der Eingeweide nicht besprochen habe. Template:Anchor

„Silberne Schalen und Röhren gemacht, verheilt, das Hirn damit gedeckt, den Stuhlgang durch ein anders End richten [künstlicher After].“

Das geschehe nicht aus Unwissenheit, sondern weil das

„einen eigenen erfahrenen Menschen haben wolle.“

[S. 3] Endlich ist bei jedem Versuche einer Beurtheilung Hohenheims aus seinem literarischen Nachlass der Zustand und die Herkunft der Ueberlieferung seiner Schriften in Betracht zu ziehen. Seine Aufzeichnungen und Dictate waren hier und dort in der Welt zerstreut. Nur Weniges ist ihm gelungen selbst ans Licht zu bringen, dem Druck .zu übergeben. Was handschriftlich erhalten war und später von seinen Schülern, oft falsch gelesen und sonstwie verstümmelt, veröffentlicht wurde, befand sich in sehr verschiedenem Zustande schriftstellerischer Vollendung. Oft waren es nur flüchtig hingeworfene erste Entwürfe zu späteren Werken, die erst nach langen Jahren des Umdenkens und Umschreibens ihre endgültige Gestalt erhielten : die ncthige Reife des Gedankens und der Form, die ein Hinaustreten an die Oeffentlichkeit vertragen konnten. Zu vielen seiner Werke sind uns 'solche vorläufige Entwürfe bekannt, die gerechter Maassen nur in ihrer letzten, fertigen Gestalt zu seiner definitiven Bewerthung herangezogen werden dürfen. Von grösster Wichtigkeit wird auf diese Weise bei der Beurtheilung Hohenheim scher Schriften die Festsetzung ihrer .Abfassungszeit, die chronologische Betrachtung seiner Werke. Nur dadurch lässt sich in unzähligen Fällen feststellen, wie der gährende Most der drängenden Gedanken des ungestümen Neuerers sich zur ruhigen Klarheit goldenen Weines, zur abgeklärten Erkenntniss der endlich errungenen Wahrheit umwandelte und entwickelte. Nur einer solchen Betrachtung ergiebt sich unmittelbar die Lösung der unzähligen Widersprüche, die sich angeblich in seinen Schriften finden sollen — dem nachschaffenden Eindringen in die Werkstatt seiner Gedanken bietet sich ungesucht als Nebengewinn der Anblick der Titanenarbeit, wie gewaltig der Genialsten einer auf dem Gebiete der Natur- und Heilkunde um das endliche Erfassen der Wahrheit gekämpft und gerungen: der schönste Lohn des anspruchslosen Forschers! — — —

Von der Ausgestaltung und Weiterentwickelung von Hohenheims allgemein-pathologischen Gedanken auf dem Gebiete der Wundheilung nur ein Beispiel!

In allen Darstellungen der Paracelsischen Wundarznei spukt als geheimnissvoiles „Wundheilmittel“ die „Mumia“. Sie wird ins Sympathetische und Wunderbare hinausgesponnen in manchen Paracelsistischen Literaturproducten und ist doch nichts weiter, als der erste Versuch, einen Ausdruck, eine Formel zu gewinnen für Hohenheims eigene Beobachtung der Vorgänge bei der Wundheilung.

Diese vielverkannte Lehre findet sich eingehend dargelegt in einem chirurgischen Buche Hohenheims, das den wunderlichen Namen „Bertheonea“ führt. In dem ersten Theile dieser Schrift sind besonders eingehend die Wund’nei'ungsvorgänge behandelt. Die Natur selbst sei der Arzt der Wunden ; unser ganzes ärztliches Bestreben müsse darauf gerichtet sein, diese natürlichen Heilungsvorgänge möglichst unbehelligt vor sich gehen zu lassen, nicht plump störend darin einzugreifen oder gar, nach der Mode seiner Zeitgenossen, eine Heilung durch Eiterung als das Beste anzustreben. Jedes Körpergewebe habe seine angeborene Energie zur Selbstheilung etwa eingetretener Continuitätstrennungen. Das halb geistig, halb körperlich geschilderte, aber durchaus real gedachte Etwas im Körper, welches die Heilung bewirkt, nennt Paracelsus hier Mumia; er versteht darunter ein feines Fluidum, welches in den Geweben vorhanden ist und ihre specifische Lebensfähigkeit bedingt, welches bei den Verletzungen in die Wunde ausgeschieden wird und im günstigen Falle die Wundheilung, die Wiedervereinigung bewirkt, also etwas Aehnliches wie das, was man später wohl „plastische Lymphe“ genannt hat. Dieses normale Wundsecret in seiner ungestörten Verfassung und Wirkung zu er- [S. 4] halten, darauf beruht das ganze Geheirnniss einer naturgemässen und rationellen Wundbehandlung. Wird die äussere Umhüllung beim Ei etwa oder bei einer Frucht, die Schale verletzt, so treten von aussen Schädlichkeiten hinein, welche zur Verderbniss, zur Fäulnis; des Eies, der Frucht führen.: ebenso ist es auch beim Menschen, wenn die Hautbedeckung getrennt wird.

An sich sind das Alles gut beobachtete und gedeutete Naturvorgänge, aber die Bezeichnung „Mumia“ ist unglücklich gewählt, namentlich, da Hohenheim auch unter den äusserlich anzuwendenden Verbandmitteln allerlei „Mumien“ anführt, die sich nur zum kleinen Theil mit den harzigen Einbalsamirungsproducten decken, welche man in der alten Pharmakopoe „Mumia“ nannte. Später hat denn auch Hohenheim diese Bezeichnung Mumia gänzlich fallen gelassen und nach Analogie mit den in der Wundbehandlung gebrauchten balsamischen Antisepticis höchstens noch von einem „angeborenen Balsam“ gesprochen, der die Wunden heile.

Wenn ich sage „später“, so habe ich damit meinen Darlegungen vorgegriffen; denn bisher schien diese Hohenheimsche Schritt „Bertheonea“ allen Autoren zeitlich völlig in der Luft zu schweben. Es ist aber meinen eingehenden Untersuchungen .gelungen, einwandsfrei nachzuweisen, dass diese Schrift im Jahre 1527 in Basel verfasst ist und den ersten Versuch des 34jährigen Mannes darstellt, eine allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie zu schreiben. Es ist damals bei einem Entwurf geblieben, dessen Ausarbeitung in der Mitte des Werkes abbrach. Einzelne Theile dieses Entwurfes gingen wörtlich in eine Kolmarer Schrift des Sommers 1528 (die Sieben Bücher von offenen Schäden) über, der Rest blieb unverwendet in Kolmar liegen.

Erst neun Jahre später nahm Hohenheim diesen Plan einer allgemeinen chirurgischen Pathologie und Therapie wieder auf und führte ihn 1536 und '37 in der „Grossen Wundarznei“ zu einem glücklichen Ende. Das berühmte Werk wurde in Ulm und Augsburg unter seinen Augen dreimal gedruckt. Aber wie sind hier die Grundgedanken gereift und abgeklärt; wieviel schlichter und einfacher ist Alles geworden. Die mehrdeutige und darum verwirrende und irreführende Bezeichnung „Mumia“ für die heilende Potenz in den einzelnen Geweben ist gefallen. Hier heisst es nun:

„Ein jedes Glied trägt seine Wundheilung in sich selbst; die Kunst ist, dass du der Natur an dem verletzten Theile Schirmung und Schätzung tragest vor widerwärtigen Feinden. Der wohl beschirmen und behüten kann, derselbig ist ein guter Wundarzt. So ist der Wundarzt durch die Arznei [d. h. die äusserlich angewendeten Verbandmittel] ein Schirmer der Natur vor den äusseren Elementen, die wider die Natur streben. Die Natur begehret nichts in ihrer Wundheilung, als allein, dass sie vor Faulung errettet werde. Die Heilsame, die im Menschen ist, heilet allein. Halt sie sauber und beschirms vor den äusseren und zufallenden Feinden, also werden alle Wunden geheilet.“ — Der Grundgedanke einer antiseptischen Wundbehandlung kann nicht einfacher und klarer zum Ausdruck gebracht werden!




  1. Aus einem Hamburger Sectionsvortrag über die chirurgischen Schriften des Paracelsus.