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Karl Sudhoff

An Hohenheim’s Todestage. (24. September 1541.) (1891)

Sudhoff, Karl (1853–1938): An Hohenheim´s Todestage. (24. September 1541.) In: Deutsche medicinische Wochenschrift (Leipzig/Berlin) 17 (1891), S. 1114–1117.


[p. 1114] Heute vor 350 Jahren ist in Salzburg sein ruheloses Leben zum Abschluss gekommen. Rast- und ruhelos nach aussen und in mancherlei Betracht auch ruhelos im Innern muthet uns der Mann an, der auf sich allein stehen wollte und stand, als Gelehrter, als Denker, aber auch als Mensch; allein seinen ärztlichen Berufsgenossen und deren überliefertem Lehrgebäude gegenüber, allein im Kampfe der religiösen Parteien seiner Zeit, unbeweibt und meist auch fern dem geistesverwandten Vater, Wilhelm Bómbast v. Hohenheim in Villach, der ihm 7 Jahre im Tode voranging. Als Wahlspruch hat Paracelsus die Worte „Alterius non sit, qui suus esse potest“ über seine beiden Bildnisse setzen lassen, welche Augustin Hirschvogel 1538 und 1540 nach dem Leben gezeichnet hat. Aus seinem eigenen Munde ist diese vielberufene Devise uns nicht überliefert, doch finden sich mehrfach sinnverwandte Aussprüche. So schreibt er 1528 in Colmar, kurz nachdem seine Thätigkeit als Universitätslehrer und Stadtarzt in Basel ein jähes Ende gefunden hatte: „Seid nicht Aristotelici, nicht Platonici, nicht in der Secten Scoti, noch Alberti. Es steht euch ehrlicher an selbst sein, dann andere für euch zu nehmen“; allgemeiner gefasst findet sich der Gedanke an anderer Stelle wieder: „Allein ein einige Zahl ist, in der wir auf Erden sollen wandeln, das ist Eins, und mehr sollen wir nicht zählen; in der Zahl ist Ruh und Fried, und in keiner andern mehr.“

Diese Worte schrieb Hohenheim zu einer Zeit, als wieder einmal ein kurzer Sonnenblick in sein Leben fiel, zu Augsburg im Hochsommer 1536. Eben hatten zwei Bücher der Grossen Wundarznei in der Heinrich Steiner’schen Officin die Presse verlassen und gingen in die Welt, seine vielfach neuen und bahnbrechenden Ideen zu verkünden. Es war ein voller Erfolg. Die stattlichen Folianten wurden eifrig gekauft und gelesen. Schon zur Fastenmesse des nächsten Jahres musste der Verleger eine neue Auflage beschaffen, die im Hornung 1537 im Drucke vollendet wurde, trotzdem der früher begonnene, aber nicht nach des Verfassers Wünschen ausgeführte Druck des ersten Buches bei Hans Varnier in Ulm den Markt noch beeinträchtigt hatte.

[p. 1115] Der Aufenthalt Hohenheim’s in Augsburg[1], den Karl Gutzkow in seiner Weise dichterisch verherrlicht hat, dauerte zweifellos den ganzen Sommer über und bis in den Winter hinein. Im Frühjahr 1537 treffen wir ihn — „non fixis pedibus me dedit terra“ sagt er selbst (1530) — bei dem befreundeten, geheimwissenschaftlichen Studien ergebenen Eferdinger Pfarrherrn, Johann v. Brandt, nahe bei Linz an der Donau, für den er schon damals sein letztes Werk über die tartarischen Krankheiten auszuarbeiten begann. Von dort wurde er zum Erbmarschall des Königreichs Böhmen, Johann v. d. Leipnick, nach Mährisch-Kromau berufen, für welchen er ein noch erhaltenes Consilium verfasste. In Kromau hat er eifrig gearbeitet, das 3. Buch der grossen Wundarznei zum Abschluss gebracht und die Ausarbeitung der Astronomia magna in Angriff genommen, wahrscheinlich auch seine beiden grossen Streitschriften, die Defensiones und den den Hippokratischen Doctoribus gewidmeten Labyrinthus medicorum, deutsch geschrieben. Er hat sich von dort (angeblich durch Ungarn) nach Wien gewendet, wo er eine Audienz bei Kaiser Ferdinand hatte und einige Schriften drucken zu lassen versuchte, was aber durch die Intriguen der Collegen hintertrieben wurde, wie seiner Zeit in Nürnberg durch das Einschreiten der Leipziger medicinischen Facultät. Er musste erfahren, „dass Stets ein Krügler [Schenkwirth] gegen den andern ist.“ Seine ärztlichen Gegner hatten gefunden, „Besser sei, so ich zu St. Steffen bin, sie seien auf dem hohen Markt, gang ich an den Lugeck, dass sie gen St. Laurenzen gehen.“

Um eine bittere Erfahrung reicher, ergriff der einsame Mann wiederum den Wanderstab und eilte zum Grabe des Vaters nach Villach. In Kärnten, seinem „zweiten Vaterlande“, suchte er Ruhe und Unterstützung; dort ist er von Ort zu Ort gewandert, allezeit schreibend, dictirend und Kranke behandelnd, hat in St. Veit das 4. Buch der Astronomia magna abgeschlossen und von dort die Chronik von Kärnten, die Defensionen, den Labyrinthus und das Buch von den tartarischen Krankheiten den Kärntener Ständen mit der Bitte um Drucklegung gewidmet, ein letzter Versuch, der trotz schöner Worte und Versprechungen seitens der „Landleute des Erzherzogthums“ ohne Erfolg blieb. So näheren sich seine Wege langsam der schönen Stadt an der Salzach, wo sein Schicksal sich erfüllten sollte.

Ein handschriftlicher Liber de sancta trinitate lässt ihn schon „an unser lieben Frauen Abend 1540“ in Salzburg sein; fest steht nur, dass er im Frühling 1541 in Salzburg weilte. Ob ihn dorthin der Erzbischof Ernst berufen hat, der damit der erste Bayernherzog wäre, welcher sich dann nicht nur, wie zwei spätere Glieder desselben Fürstenhauses um seinen handschriftlichen Nachlass und die Drucklegung seiner Werke, sondern auch um seine Person Verdienst erworben hätte, bleibt fraglich, ist aber nicht wahrscheinlich.

In Salzburg soll er am Platzl gewohnt, chemisch gearbeitet und geschrieben haben; handschriftliche Reste waren noch zu Anfang dieses Jahrhunderts dort vorhanden — und wurden als Makulatur verwendet. Vermuthlich schon länger leidend, wurde er, vielleicht auf einem Krankenbesuche in der Stadt, von schwerem Unwohlsein befallen und musste im Gasthaus zum weissen Ross im Kai Unterkunft nehmen. Dort hat er am 21. September sein Testament gemacht und ist drei Tage später gestorben.

Ueber die Ursache seines frühen Todes im 48. Lebensjahre sind die abenteuerlichsten Ueberlieferungen von Freund und Feind verbreitet worden. Adam von Bodenstein und seine Schüler berichten von versuchten Vergiftungen seitens der Feinde; man habe ihn „mit erschröcklichem Mittel ab der Welt thun wöllen, und vergeben [vergiftet], wie es öffentlich am Tag und zu beweisen ist“. Die Sage vom Giftmord erhielt sich lange, trotzdem Michael Toxites, der früher ähnliches berichtet hatte, 1574 im „Testamentum“ kein Wort darüber erwähnt, also bei genauerem Nachforschen in Salzburg das Gerücht nicht bestätigen konnte; später wurde sie mit der Ausschmückung mundgerechter gemacht, dass Paracelsus mit Wissen das Gift genommen habe, um die Wirkung des Gegengiftes zu demonstriren, aber elendiglich habe sterben müssen, weil ihm das Gegengift seitens der feindlichen Collegen entwendet wurde. (In anderer Form hat Karl Spindler diese Sage in seinem „Diamantenelixir“ verwendet.) Noch später tauchte das Märchen auf, dass er sich durch Verschlucken von Diamanten selber das Leben genommen habe.

Schon frühzeitig wurde von Gegnern behauptet (so schon 1574 von Jacob Horst), dass Paracelsus lange Zeit vor seinem Tode an „Gicht und Vorlämbniss in Händen und Füssen also gelitten, dass man ihn zu Kranken contract auf einem Stuhl tragen müssen und wie ein Kind sich äsen [speisen] lassen.“ Auch zu dieser Lesart giebt es allerlei Varianten.

Spät erst lassen sich Spuren einer Ansicht nachweisen, welche auch heute noch vielfach wiederholt wird, dass nämlich Hohenheim bei einem Gastmahl von den feindlichen Aerzten oder deren gedungenen Spiessgesellen von einer Höhe gestürzt wurde oder in anderer mechanischer Weise einen gewaltsamen Tod fand. Ein klaffender Spalt im linken Schläfentheile des heute noch in Salzburg verwahrten Schädels, der im Anfang dieses Jahrhunderts von S. v. Sömmering entdeckt wurde, gab dieser Sage einen scheinbar unwiderleglichen Anhalt, und es ist das Verdienst Karl Aberle’s, durch eigene eingehende Untersuchungen in den letzten beiden Jahrzehnten[2] und dadurch, dass er vielen pathologisch-anatomischen und chirurgischen Fachgelehrten, namentlich auf der Salzburger Naturforscherversammlung 1881, Gelegenheit gab, ihr einstimmiges verneinendes Urtheil abzugeben, diesen hässlichen Vorwurf gegen die Fachcollegen endgültig beseitigt zu haben. Heute ist kein Zweifel mehr möglich, dass der Spalt im Schädel des Paracelsus erst nach dem Tode, wahrscheinlich bei der Exhumation der Gebeine (1752), zu Stande kam, und dass Hohenheim eines natürlichen Todes gestorben ist. Es wäre also an der Zeit, aufzuräumen mit diesen unwahren Verdächtigungen und den Thatbestand allenthalben zu Worte kommen zu lassen.

Erwähnen will ich noch, dass bei Domnau in Ostpreussen (wo Hohenheim etwa 1522 sich aufgehalten haben mag) bis vor zwanzig Jahren das Grab des Paracelsus unter einem eigenthümlich gestalteten, mit drei Löchern versehenen Steine gezeigt wurde (Teufelsstein genannt). Der Stein ist seitdem bei einem Chausseebau gesprengt worden, es fanden sich aber keinerlei Knochenreste darunter. — Gestützt auf die Jahreszahl eines unechten Briefes (1551), hat endlich B. M. Lersch die abenteuerliche Vermuthung aufgestellt, Paracelsus habe, nm sich vor Verfolgungen zu schützen, die Nachricht von seinem Tode 1541 verbreiten und durch ein fingirtes Begräbniss bestätigen lassen, thatsächlich aber noch länger gelebt.

Doch genug der Sagen! Hohenheim wurde zu Salzburg begraben ; sein rühmendes Grabmal steht dort noch heute im Stiegenhause des Friedhofes zu St. Sebastian. Wahrscheinlich hat nicht Erzbischof Ernst, wie das Gerücht geht, sondern der Testamentsvollstrecker Michael Setznagel das Grabdenkmal gestiftet. — —

So ist er denn am Fusse der Alpen vom Leben geschieden, in deren Bergeseinsamkeit seine Wiege gestanden; schroff und hart wie die Felsen des Hochgebirges, eckig und voll Kanten ist die Natur des Mannes gewesen, aber auch hoch in die Wolken ragend die Grösse seines Geistes, dessen Flug Himmel und Erde umspannte. Angeboren war dem Kind der Berge die Liebe zur Natur, genährt vom Vater, dem Arzte, der ihm nach dem eresischen Schüler des grossen Stagiriten den Namen Theophrastus gab; allezeit hat er dem grossen naturwissenschaftlichen Namensgenossen Ehre gemacht. Ausgerüstet mit dem scharfen, brillenlosen Blick des Naturforschers und dem combinatorischen Geiste des Philosophen, hat er die Welt durchwandert. Ohne ausgebildete Untersuchungsmethoden, Errungenschaften späterer Jahrhunderte, hat er intuitiv erschaut die Einheit des Weltganzen. Er erkannte, dass dieselben Naturkräfte, die das Weltall regieren, auch im Kiesel des Baches wirksam sind, dass dieselben chemischen Gesetze, die in der anorganischen Natur herrschen, auch die belebte regieren. Emsige Studien in den Laboratorien der Schmelzhütten und der grübelnden Alchemisten hatten ihn chemische Vorgänge kennen gelehrt, die er auch im lebenden Organismus thätig sah. Der Mikrokosmus des Menschenleibes war ihm ein Abbild der grossen Welt, des Makrokosmus, Vorstellungen, die zwar schon Jahrhunderte älter sind, doch von ihm erst in ihrer weltumfassenden Bedeutung klar erkannt wurden.

Aufgewachsen in der treuen Pflege des natur- und scheidekünstigen Vaters, hat er sich die lateinische Bildung seiner Tage zu eigen gemacht und ist dann hinausgewandert, die Hochschulen Deutschlands, Italiens, Frankreichs und Spaniens zu besuchen. Er hat die galenistische und arabistische Schulgelehrsamkeit in sich aufgenommen und selber Kranke nach den Grundsätzen der Schule zu behandeln begonnen, aber keine Befriedigung darin gefunden. Er hat dann von neuem zu lernen angefangen und auch Belehrung von Ungebildeten nicht verschmäht, ist bei den Scherern und Badern, wie bei gelehrten Aerzten, bei Weibern, Schwarzkünstlern [p. 1116] und Alchemisten von neuem in die Schule gegangen; er hat viel darüber nachgedacht, „dass die Arznei eine ungewisse Kunst sei, während sie doch sein sollte eine bewährte nothhafte Kunst, allen Kranken nützlich und hilflich zur Gesundheit.“

Da ist er abgefallen von den Lehren der Alten, „denn was nützt uns der Regen, der vor tausend Jahren gefallen ist; der nützet, der heut zu Tage fällt.“ Er begründete sein ärztliches Thun, wie seine Theorieen auf die Erfahrung, auf eigene Beobachtung der Natur. Das „Licht der Natur“ wurde ihm die Fackel, welche ihm hinausleuchtete aus den dämmernden Hallen alter einst glänzender, aber im Laufe der Jahrhunderte verstaubter und baufällig gewordener Lehrgebäude. „Ein Eingang zur Arznei ist in den bemeldeten Büchern, ein anderer ist in der Natur.“ Aber „die Natur lehrt den Arzt, nicht der Mensch.“ An Stelle des alten „Perscrutamini scripturas“ setzte er als neuen Lehrsatz „Perscrutamini naturas rerum.“ Die Naturwissenschaft und die Medicin „bedarf nun weiter keines Skribenten mehr, allein interpretes auf das Buch der Natur nach Inhalt ihres Textes.“ Denn „wer ist billiger ein Lehrmeister als die Natur selbst, darum so muss der Arzt aus der Natur wachsen mit vollkommenem Verstand.“ Jedoch keiner rohen Empirie will er Thor und Thür öffnen; nur ein Wissender kann richtige Beobachtungen machen. Zwar ist die Medicin „nichts als eine grosse gewisse Erfahrenheit, nämlich, dass alles so er thut in der Experienz steht, und das ist Experientia, was da gerecht und wahrhaft erfunden wird“ — aber „die Scientia ist die Mutter der Experienz und ohne die Scientia ist nichts da.“ Bei Seite schob er die alten Theorieen; denn „die Theoria muss aus der Practica fliessen.“ Schönen Ausdruck verleiht er dem Gedanken, dass die Philosophie (gleich Naturerkenntniss) auf der sinnlichen Wahrnehmung beruhen, aus der Beobachtung der Natur selbst hervorgehen müsse: „Also muss die Philosophie der Arznei geführt werden, dass auch die Augen den Verstand begreifen und dass sie in die Ohren töne wie der Fall des Rheins, und dass das Getön der Philosophie also hell in den Ohren liege als die sausenden Winde aus dem Meere, und die Zunge dermaassen ein Wissen trage als des Honigs und der Galle und die Nase schmecke [rieche] ein jeglichen Geruch des ganzen Subjects“ [heute „Object“].

Er erkannte die Hinfälligkeit der Lehre von den vier Cardinalsäften und der auf dieselbe gegründeten Therapie des Purgirens, Aderlassens und Klystiersetzens. An ihrer Statt schuf er, geleitet von der Beobachtung chemischer Vorgänge, eine neue Auffassung der physiologischen und pathologischen Vorgänge im menschlichen Körper, die er auch für die Therapie zu verwerthen beflissen war. Alles führt er auf einfache chemische Principien zurück, und das bedeutet einen grossen Fortschritt, wenn auch seine Gedanken der Wirklichkeit oft noch fern stehen. Verhüllt unter scheinbar mystischen Personificationen, schildert er die Assimilations- und Resorptionsvorgänge bei der Verdauung. Er beobachtete die Ausscheidungsvorgänge im Wein und anderen Flüssigkeiten, die Fällungen durch Säurezusatz u. s. w. und gründete darauf seine Lehre von den tartarischen Erkrankungen, welche die Coagulationsvorgänge, die Exsudationen, Concrementbildungen u. s. w. umfasste, wie sie in den arthritischen Ablagerungen, den Steinbildungen in den Harnwegen, dem Atherom und anderem zu Tage treten. Wenn er den Spiritus salis den Heros coagulationis nennt, so ist das nicht einmal als Personificirung aufzufassen, sondern als direkter Ausdruck für die Wirkungen des Chlorwasserstoffes und anderer Säuren. Jedenfalls dringen seine chemischen Theorieen, wie unvollkommen sie auch noch sind, tiefer in das Wesen der Krankheitsvorgänge ein, als die späteren Zurückführungen der Krankheiten auf Säure und Alkali.

Fast bedeutender noch als diese chemischen Hypothesen sind seine eingehenden Untersuchungen verschiedener Krankheitsgruppen. Ich greife nur zwei heraus, die Syphilis und die metallurgischen Erkrankungen. Der Lues gallica gegenüber hat Hohenheim eine Schärfe der Beobachtung entwickelt, die erst in unseren Tagen richtig gewürdigt werden kann, wo vieles als neu entdeckt gegolten hat, was der Arzt von Einsiedeln schon vor Jahrhunderten erkannte. Befruchtend, bahnbrechend und vor allem reinigend hat er gewirkt auf dem Gebiete der Syphilistherapie. Als kritischen Kopf ersten Ranges bewährte er sich in dem Sturme der Begeisterung, der die ärztliche und Laienwelt nach der Entdeckung des Franzosenholzes (Guaiac) ergriff. — Ein vollständig neues Gebiet hat er erschlossen in seiner Schrift über die Bergsucht oder die Bergkrankheiten, welche die erste Darstellung der gewerblichen Erkrankungen der Bergwerks- und Hüttenarbeiter (z. B. Quecksilber- und Bleivergiftungen) enthält.

Fast unermesslich sind seine Verdienste auf dem Gebiete der Pharmakologie und Arzneibereitungslehre. Den Gedanken: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“, stellt er an die Spitze seiner Untersuchungen über die Wirksamkeit der Arzneistoffe. Wenn er auch nicht allenthalben der erste ist, welcher Quecksilber, Antimon, Eisen, Zink, Kupfer und andere Metalle und Metallsalze zur Behandlung Kranker heranzog, so hat er doch das meiste hierfür geleistet und nach langen Kämpfen, auch nach seinem Tode mit seinen Schriften, diesen Mitteln das dauernde Bürgerrecht im Arzneischatze errungen. Auch den Pflanzenmitteln hat er sein reges Interesse zugewandt und ausser den Infusen, Decocten und Syrupen andere Zubereitungsmethoden gelehrt, allezeit von dem ganz modernen Bestreben geleitet, aus den rohen Drogen die wirksamen Bestandtheile darzustellen und zur Anwendung zu bringen.

Dies und vieles andere sind Früchte seines alchemistischen Studiums, das man ihm so vielfach in schiefster Weise zum Schimpf ausgelegt hat. Zu den grössten Verirrungen des menschlichen Wissensdranges wird auch heute noch die Alchemie gerechnet; ob man darin nicht einer grossen Zahl, besonders der früheren Anhänger dieser Lehre bitter Unrecht thut, will ich hier nicht untersuchen; jedenfalls hat Hohenheim’s Alchemie, die er als eine der vier Grundsäulen der Medicin proclamirte, auch nicht den Schatten eines Vorwurfes verdient. Alles, was Goldmacherschwindel heisst, wird von ihm ausdrücklich bei Seite geschoben, sie ist ihm „modus praeparandi rerum medicinalium“, das Werkzeug zur Arzneibereitung, zur Ausziehung der wirksamen Bestandtheile aus den Arzneistoffen; er sucht sie gleichsam ihrer Erdenschwere zu entkleiden, das „Corpus“ davon zu nehmen, damit sie als spirituöser Extract, als Tinctur, als Quintessenz, als „Arcanum“ ihre volle Wirkung ungestört entfalten können. So schreibt er: „Viele haben sich der Alchemie geäussert, sagen, es mache Silber und Gold, so ist doch solches hie nicht das Fürnehmen, sondern allein die Bereitung zu tractiren, was Tugend und Kräfte in der Arznei sei, die kein Leib hab.“ Die wirkenden Tugenden und Kräfte der Dinge zu erkennen zum Wohle der leidenden Menschheit, das ist sein erstes Bestreben, davon hat er sich auch in seinen Untersuchungen über die Wirkungen der Heilquellen leiten lassen, ebenfalls vielfach in neuer und bahnbrechender Weise. Wie er die Alchemie auch in speculativer Weise verwerthet hat, ist schon oben angedeutet; er gehört zu den ersten Begründern einer wissenschaftlichen Chemie und ist als solcher noch nicht hinreichend gewürdigt.

Mit diesen kurzen Andeutungen über seine medicinischen Bestrebungen und Leistungen muss ich mich begnügen. Ich übergehe seine philosophischen, seine astronomischen, meteorologischen, kosmologischen und seine theologischen Schriften, wenngleich allenthalben Rühmenswerthes mit seinem Namen verknüpft ist. Verweilen möchte ich nur noch einen Augenblick bei seiner Auffassung des ärztlichen Berufes. Das Elend der Kranken hat lebenslang sein warmes Herz erfüllt. „Wisset, dass ein Kranker Tag und Nacht seinem Arzt soll eingebildet sein, und ihn täglich vor Augen tragen, all’ sein Sinn und Gedanken in des Kranken Gesundheit stellen mit wohlbedachter Handlung.“ Ein Arzt soll „kein Larvenmann sein, kein altes Weib, kein Henker, kein Lügner, kein Leichtfertiger, sondern ein wahrhaftiger Mann sein“, ruft er aus, und ein ganzer, ein wahrhaftiger Mann hat er Zeit seines Lebens Reich und Arm mit gleicher Treue seine Hülfe zutheil werden lassen; denn „der höchste Grund der Arznei ist die Liebe“; „im Herzen wächst der Arzt, aus Gott geht er, des natürlichen Lichtes ist er, der Erfahrenheit“. „Den Medicum reuet nichts; denn er hat seine Tag vollbracht mit den Arcanis und hat in Gott und der Natur gelebt als ein gewaltiger Meister des irdischen Lichtes.“

Als ein solcher gewaltiger Meister wird er selbst allezeit stehen im Gedenken der Menschheit; die reine Begeisterung für sein menschenfreundliches Thun ist sein schönster Charakterzug. Stellt man die grossen Aerzte aller Zeiten und Völker zusammen, so wird allezeit als der grössten einer zu nennen sein der Salzburger Todte, Theophrastus Bómbast von Hohenheim. — —

Wenn wir heute dies Schärflein der Anerkennung auf sein frühes Grab legen, so dürfen wir nicht vergessen, wie lange Zeit es gekostet hat, bis ihm diese Anerkennung, fast zögere ich zu sagen unbestritten, zu Theil werden konnte. In früheren Jahrhunderten sind fast nur die Gegner zu Worte gekommen, die kein gutes Haar lassen wollten an dem Manne, der sein Leben dem Dienst der Menschheit geweiht hatte. Seit hundert Jahren beginnt sich eine gerechtere Würdigung Bahn zu brechen. Der Streit ist entschieden worden, wie Hohenheim es vorausgesagt hat. Die Waffen ruhen; der Kampf des Galenismus und Paracelsismus gehört der Geschichte der Medicin an und bildet eines ihrer interessantesten, wenn auch oft recht trüben Capitel. Viel ist zur Klarstellung der Verdienste Hohenheim’s von berufenen Federn schon geleistet worden, aber noch ist die Zeit nicht gekommen, ein vollständiges, wahrheitsgetreues Bild seines geistigen Schaffens zu zeichnen. Noch fehlt es an den nothwendigsten Grundlagen. Die meiste Schuld an dem früheren und auch dem heutigen Schwanken der Beurtheilung liegt nicht etwa in seiner schwerverständlichen Schreibweise, noch [p. 1117] weniger an der angeblichen Verworrenheit seiner Lehren oder gar seines Kopfes, sondern an der mangelhaften Ueberlieferung seiner Werke.

Bei seinen Lebzeiten brachte er nur wenige medicinische Schriften zum Druck, zwei Syphilisschriften, das Büchlein vom Bade Pfäffers und die beiden ersten Bücher der Grossen Wundarznei. Alles übrige ist erst Jahrzehnte nach seinem Tode aus mehr oder weniger verstümmelten, durch die Abschreiber verdorbenen, stellenweise interpolirten Handschriften, zum Theil von wenig dazu Berufenen veröffentlicht worden, und bisher ist noch keine kritische Untersuchung des Gedruckten und handschriftlich Erhaltenen genügend tief eingedrungen, um das Echte vom Unechten endgültig zu scheiden. Aber selbst wenn dies für die einzelnen Schriften feststände, so ist doch noch keine Gewähr dafür geboten, dass nun auch jeder Satz der als echt anerkannten Schriften wirklich von Hohenheim herstammt und dass er in der ursprünglichen Gestalt überliefert worden ist. Zur Kritik der Echtheit müsste sich noch eine eingehende Kritik des Textes gesellen, wie er in den zahlreichen Einzelausgaben und den Handschriften sich findet.

Trotz ihrer Mängel muss noch heute als Grundlage für jede Art der Paracelsusforschung die Ausgabe von Johann Huser aus Waldkirch dienen, welche in zehn medicinisch-philosophischen Bänden und einem chirurgischen 1589—1591 in quarto zu Basel erschienen ist. Leider ist dieselbe nicht zu Ende geführt worden; denn die chirurgischen Schriften sollten vier Bände umfassen, von denen nur der erste erschienen ist, der dazu noch in den meisten Bibliotheken fehlt. Der Strassburger Drucker Lazarus Zetzner veranstaltete 1603 einen Neudruck in zwei Foliobänden nach der Baseler Ausgabe und fügte 1605 die chirurgischen Schriften vollständig hinzu nach dem von Huser’s Erben ihm übergebenen Manuskripte. Diese Folioausgabe erschien 1616 resp. 1618 in neuer Auflage, doch sind beide Ausgaben sehr nachlässig gedruckt und daher nur sehr vorsichtig zu benutzen. Der chirurgische Band ist aber ebenso unentbehrlich, wie die Baseler Quartausgabe, weil er sehr viele und darunter sehr wichtige Schriften enthält, die sonst gar nicht gedruckt sind oder doch in früheren Sonderdrucken heute nur schwer zu erlangen sind. Wer über irgend eine Hohenheim betreffende Frage historisch richtig Urtheilen will, muss also die Baseler Quartausgabe und den chirurgischen Band der Strassburger Folioausgabe beide zu seinen Studien verwerthen. Dass nur die schlechtere Folioausgabe oder die unvollständige Quartausgabe gebraucht wurde, hat schon viel Unheil angerichtet.[3]

Alles dies ist aber nur ein Nothbehelf und — auf die Dauer ein der deutschen medicinischen Wissenschaft unwürdiger Zustand. Andere Völker haben es nicht unterlassen, für würdige Neuausgaben der grossen Aerzte ihrer Vergangenheit zu sorgen. Dies ist denn auch schon mehrfach empfunden worden, und Heinrich Häser hat schon vor fast 20 Jahren eine solche „im Interesse der Geschichte der Medicin wie der deutschen Sprache gleich unabweisbare neue Ausgabe“ der echten Werke Hohenheim’s geplant. Vielleicht ist es ein Glück, dass dieselbe damals noch unterblieb; denn trotz Friedrich Mook’s dankenswerthen bibliographischen Forschungen war das Material noch nicht annähernd spruchreif. Die vereinte Thätigkeit medicinisch-historischer und germanistischer Wissenschaft muss diese Arbeit mit deutscher Gründlichkeit in die Hand nehmen; sie kann und wird hoffentlich in nicht zu ferner Zeit dieser Ehrenpflicht genügen. Freilich allein aus der Initiative eines oder mehrerer Gelehrten heraus lässt sich dies Werk nicht schaffen, da müssen gelehrte Gesellschaften oder eine deutsche Regierung helfend zur Seite stehen und die nöthigen Mittel bereit stellen. Ist doch auch die erste Sammelausgabe nur durch die Munificenz des Bayernfürsten auf dem Kölner Erzbischofsitze ermöglicht worden.

Dass er „allein war, dass er neu war, dass er deutsch war“ ist heute ja kein Grund mehr, seine Schriften zu missachten; im Gegentheil! — Theophrastus von Hohenheim gehört zu den Männern, in deren Ehrung das deutsche Volk sich selber ehrt!




  1. 1) Einen Theil seines früheren Lebensganges habe ich im Verein mit Eduard Schubert im 2. Hefte der „Paracelsus-Forschungen“ (Frankfurt a. M. 1889) geschildert.
  2. 1) Aberle hat die Hohenheim’s Salzburger Aufenthalt, seinen Tod, seine Gebeine, sein Grabdenkmal u. s. w. betreffenden Punkte untersucht und die Ergebnisse in den Mittheilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde im XVIII., XXVII., XXVIII. und XXXI. Band veröffentlicht. Die Abhandlungen sind auch in diesem Frühjahr im Sonderdruck erschienen. Eingehend hat Aberle auch untersucht und beschrieben 231 Abbildungen Hohenheim’s, was nicht nur dem Sammler, sondern auch dem Historiker von Werth ist, weil durch die Bilder auch über manchen zweifelhaften Lebensumstand Klarheit zu erlangen ist, die in anderer Weise nicht mehr zu beschaffen war.
  3. 1) Nur ein Beispiel aus der jüngsten Zeit! Zweifellos die beste Arbeit zur Pharmakologie des Paracelsus ist die Abhandlung über „Ladanum und Laudanum“ von Th. Husemann (Archiv für Pharmacie, 1889), welche, soweit sie Hohenheim betrifft, die 10 Bände der Quartausgabe zugrunde legt, die chirurgischen Schriften aber nicht berücksichtigt, und gerade dort findet sich folgende Stelle: „Ich hab’ ein Arcanum heiss ich Laudanum, ist über das alles, wo es zum Tode reichen will“ (Augsburger Originalausgabe 1536, 1. Buch Fol. XLVIIa; Huser, Chir. B. u. Schr. 4°-Ed. p. 210; Fol.°-Ed. p. 44), welche unwiderleglich beweist, dass Hohenheim einer ganz bestimmten Arzneiverordnung diesen selbstgewählten Namen beilegt, was bei Husemann zweifelhaft bleibt.